Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
lächelte, obwohl sie so blaß war, daß die Sommersprossen über ihrer kurzen Nase deutlicher zu sehen waren als gewöhnlich. Zu hören, daß seine Frau Augenzeugin des Mordes auf der Place de la Gare gewesen war, hatte Christian geschockt, und als er jetzt hörte, daß sie auf den Platz gelaufen war, während die Schießerei noch anhielt, mußte er sich setzen.
– Mach nicht so ein Gesicht, sagte Claudine, es ist ja gutgegangen!
Die Absperrungen um die Viertel um den Bahnhof waren aufgehoben worden, als klar war, daß der Schütze nicht mehr dort war, und das Blumengeschäft war wieder offen. Es waren ungewöhnlich viele Kunden im Laden. Sie sind hier, um den Tatort anzuglotzen, dachte Christian grimmig.
Auf dem Weg zur Place de la Gare hatte er gesehen, daß mehrere Autos von der kommunalen Polizei um ein leeres Haus in dem Viertel parkten, das dem Platz am nächsten war, also hatte man jetzt vermutlich die Stelle gefunden, wo der Schütze gestanden hatte.
Er versprach Claudine, zum Abendessen zu Hause zusein, und sie einigten sich, in ihrer italienischen Eckkneipe zu essen, weit weg von Tatorten und Polizeiuntersuchungen.
Christian hatte sich entschlossen, die Spuren von Fabien Lenormand in Brüssel während seiner letzten Tage weiter zu verfolgen. Diesmal wollte er herausfinden, was der Journalist getan hatte, als er erfuhr, daß Stéphane Berger aus der Konferenz in der Solvay-Bibliothek im letzten Augenblick ausgestiegen war. Es war wirklich unverzeihlich schlampig von ihm gewesen, davon auszugehen, daß Lenormand einfach weggegangen war, dachte Christian.
Durch einen Brüsseler Journalisten, den er während seiner und Martine Poirots voriger Morduntersuchung kennengelernt hatte, hatte er die Telefonnummer des Presserates bei der schwedischen EU-Delegation bekommen, die zu den Veranstaltern des Seminars gehört hatte, an dem Fabien Lenormand am Montag teilgenommen hatte. Um Zeit zu sparen, rief er ihn vom Auto aus an. Der Schwede erinnerte sich sehr wohl, daß ein französischer Journalist – »ein junger Mann mit lockigen Haaren« – ein erstaunlich großes Interesse für die schwedischen Tageszeitungen geäußert hatte, die beim Seminar gezeigt worden waren, und sogar darum gebeten hatte, ein Exemplar mitnehmen zu dürfen. Ja, es war eine Sonntagszeitung gewesen, und da sie die Zeitungen in der Woche vor dem Seminar, das am 19. September gehalten wurde, hereinbekommen hatten, war sie nicht vom Sonntag, dem 18. September, gewesen, sondern vermutlich vom Sonntag davor.
So far so good, dachte Christian. Sie konnten jetzt fast zu hundert Prozent sicher sein, daß das Bild von Istvan Juhász und den übrigen Grubenarbeitern aus Hanaberget, das Fabien Lenormand in der Hand gehabt hatte, als er ermordetwurde, am 11. September publiziert worden war, und sie wußten, woher er es hatte. Aber was es bedeutete, stand auf einem anderen Blatt, war ein Rätsel, das zu lösen immer noch ausstand.
Er hörte den Schweden im Hörer schwer atmen.
– Herr Kommissar, sagte er, als Sie sagten, Sie rufen von der Polizei in Villette an, dachte ich, es ginge um diese Schießerei, die Sie hatten, ich bin ja auch der Presseverantwortliche für die Botschaft, und wir sind vom Justizpalast in Villette informiert worden, daß dort heute morgen eine Schwedin erschossen worden ist. Wissen Sie etwas darüber?
Christian erzählte das wenige, das er wußte, nicht mehr als das, was er von Claudine gehört hatte.
– Die belgische Nachrichtenagentur hat anscheinend bekanntgegeben, daß eine Schwedin erschossen worden ist, sagte der Presserat, und vorhin hat Reuters angerufen, jetzt warte ich nur darauf, daß die ganze schwedische Presse anruft. Die Abendzeitungen werden wohl völlig durchdrehen.
Er klang bekümmert.
Christian bat seinen Fahrer, zum Gare du Nord in Brüssel zu fahren und dort auf ihn zu warten, während er in dem Hotel vorbeischaute, in dem Fabien Lenormand in seiner letzten Nacht geschlafen hatte.
Er hatte Glück. Auch diesmal stand Angélique Lubaki in der Rezeption. Sie erkannte ihn sofort wieder und lächelte, als sei sein Besuch eine willkommene Unterbrechung.
– Haben Sie noch mehr Fragen? sagte sie.
– Ja, sagte Christian, ich wüßte gern, ob Sie etwas darüber sagen können, wie Fabien Lenormand seinen Abend hier, also den Montag abend, verbracht hat.
– Sicher, sagte sie, er ist ziemlich früh essen gegangen, gegen sieben, und da fragte er, ob ich ein gutes und billigesLokal in der Nähe
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