Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
der Rothaarige, da konnte uns keiner sehen, und dann kam ein Auto. Das war so ein Auto, wie der Onkel, der bei uns die Toilette repariert hat, eins hatte, aber das hier war ganz schwarz und hatte schwarze Fenster, und da haben wir gespielt, es wär’ ein Verbrecherauto. Und dann kam ein Onkel aus dem Auto.
– Wie sah er aus?
Annick hielt den Atem an.
– Er hatte eine Mütze auf, die ging bis hierher, sagte der Braungelockte und zeigte auf seine Augenbrauen, und er hielt sich ein Halstuch vor den Mund, und er ging in das Haus da, aber da sind wir nach Hause gegangen, wir wollten nicht, daß er uns sieht, wenn er rauskommt.
– Erinnert ihr euch an noch etwas vom Auto, sagte Annick, was für eine Nummer es hatte, zum Beispiel?
Die Jungen schielten sich peinlich berührt an.
– Es waren Buchstaben auf dem Auto, sagte der Rothaarige, aber wir können noch nicht lesen.
Typisch, dachte Annick, wenn sie endlich zwei Zeugen findet, die etwas Interessantes gesehen haben, stellt sich heraus, sie sind Analphabeten. Aber sie hatten jedenfalls einen schwarzen Lieferwagen mit Text darauf gesehen. Sie schrieb die Namen der Jungen auf, ließ sich von ihnen zeigen, wo sie wohnten, dankte ihnen feierlich und versicherte, daß sie von großem Nutzen gewesen waren.
Im Justizpalast suchte sie die alten Korruptionsuntersuchungen aus den achtziger Jahren heraus, mehrere große Boxen, die nicht einmal Platz auf ihrem Schreibtisch fanden. Die Untersuchungen hatten mit der Zeit dazu geführt, daß einige kommunale Angestellte auf der mittleren Ebene wegen Bestechlichkeit und einige Unternehmer wegen Bestechung verurteilt worden waren, ein ziemlich mageres Resultat für die Ermittlungsbeamten, die Korruption auf einer erheblich höheren Ebene untersucht hatten. Guy Dolhet war nie angeklagt worden, aber Annick wußte, daß sein Name in der Voruntersuchung vorgekommen war. Sie bat einen älteren Kollegen, ihr bei der Durchsicht des umfangreichen Materials zu helfen, und er suchte in wenigen Minuten die Akten heraus, die ihr nützlich sein könnten.
Guy Dolhet hatte einen Schwiegersohn, der eine Reinigungsfirma betrieb, und diese Reinigungsfirma tauchte in der Voruntersuchung erstaunlich oft auf. Das Putzen Mazzeris Putz & Reinemachen zu überlassen war anscheinend beinah ein Muß gewesen für Unternehmen, die lohnende kommunale Aufträge bekommen wollten. Nach und nach begriff Annick, daß die Ermittlungsbeamten in den achtziger Jahren den Verdacht gehabt hatten, daß die Unternehmen mit Hilfe von fingierten und überhöhten Rechnungen von Dino Mazzeri Geld an Dolhets Partei gezahlt hatten. Aber das zu beweisen war ihnen nie gelungen. Mazzeri war wegen Bilanzfälschung zu Geldstrafen verurteilt worden, weil er bei einigen Gelegenheiten Schwarzarbeiter beschäftigt hatte und weil er unvorsichtigerweise allzu teure persönliche Geschenke von Kunden angenommen hatte, die sich mit einem Schwiegervater gutstellen wollten, das war aber auch alles gewesen.
Putzen, dachte Annick, kann viele Bedeutungen haben.
Sie fragte sich, wie Elisabeth Dolhet, studierte Tochter eines namhaften Politikers, einem Typen wie Dino Mazzeri hatte verfallen können. Er sah natürlich gut aus, dachte sie und betrachtete ein Foto von Dolhet und seinem Schwiegersohn, aber trotzdem.
– Hör mal, Laurent, sagte sie zu dem Kollegen, der ihr geholfen hatte, wie kamen Dolhet und seine Tochter eigentlich in Kontakt mit diesem Typen Mazzeri?
Er lachte.
– Mazzeri arbeitete Ende der Siebziger als Chauffeur und Faktotum für Dolhet, da hat er wohl die Tochter kennengelernt. Aber er ist ein dubioser Typ, und seine Brüder Gianni und Fredo sind noch schlimmer, ein paar Gorillas, verurteilt wegen Körperverletzung und illegalem Spiel. Aber manchmalhelfen sie in der Reinigungsfirma mit und mehrere ihrer Kumpane auch. Ich würde dir entschieden davon abraten, Mazzeris zu beschäftigen, wenn du irgendwann einen Umzugsputz brauchst!
Ja, Putzen kann viele Bedeutungen haben, dachte Annick wieder. Vielleicht hatte Guy Dolhet seinen Schwiegersohn angerufen und ihn gebeten, das Notizbuch, das Nathalie Bonnaire gefunden hatte, wegzuputzen, und vielleicht hatte der seine Brüder angerufen und sie gebeten, sich darum zu kümmern. Sie fragte sich, ob Berger Rebar zu Mazzeris Kunden gehörte. Das wäre ein handfester Beweis für die Verbindung zwischen Dolhet und Berger. Aber wie sollte sie das an einem Samstag herausfinden?
Sie wählte die Nummer von Berger Rebar und wurde zum
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