Die Günstlinge der Unterwelt - 5
in eine Welt hinausgeschickt werden, in der sie auf die Probe gestellt werden. Der Schöpfer will, daß wir entscheiden, ob wir ihnen genug beigebracht haben, damit sie den Schmerz dessen, was sie zu sehen und zu spüren bekommen, schadlos überstehen.« Sie klopfte sich auf die Brust. »Hier drinnen. Wir müssen entscheiden, ob sie in der Lage sind, die schmerzhaften Entscheidungen zu fällen, die die Erleuchtung des Schöpfers manchmal verlangt. Das ist die Bedeutung der Schmerzensprüfung. Ihre Fähigkeit, Qualen auszuhalten, verrät uns nichts über ihr Herz, ihren Mut oder ihr Mitgefühl.
Du selbst, Philippa, hast eine Schmerzensprüfung bestanden. Du wolltest darum kämpfen, Prälatin zu werden. Hunderte von Jahren hast du auf das Ziel hingearbeitet, wenigstens ernsthaft an dem Wettstreit teilzunehmen. Die Ereignisse haben dich um diese Chance gebracht, und dennoch hast du mir gegenüber nie ein böses Wort verloren, obwohl dich dieser Schmerz jedesmal überkommen muß, wenn du mich siehst. Statt dessen hast du in der Vergangenheit dein Bestes gegeben, um mich in diesem Amt zu beraten, und hast stets im Interesse des Palastes gehandelt – trotz dieses Schmerzes.
Wäre mir besser damit gedient gewesen, wenn ich darauf bestanden hätte, dich durch Folter darauf zu prüfen, ob du meine Beraterin werden kannst? Hätte das irgendwas bewiesen?«
Schwester Philippas Wangen hatten sich gerötet. »Ich will nicht lügen und so tun, als sei ich mit Euch einer Meinung, aber zumindest sehe ich jetzt, daß ihr tatsächlich Erde aus dem Brunnen geschaufelt und ihn nicht einfach als trocken aufgegeben habt, nur weil Ihr nicht schwitzen wolltet. Ich werde Eure Anweisung augenblicklich ausführen, Verna.«
Verna lächelte. »Danke, Philippa.«
Auf Philippas Gesicht zeigte sich ein leiser Anflug eines Lächelns. »Durch Richard hat sich bei uns einiges verändert. Ich dachte, er wollte uns alle umbringen, und dann stellt sich heraus, daß er ein größerer Freund des Palastes ist als alle anderen Zauberer in den letzten dreitausend Jahren.«
Verna lachte schallend. »Wenn du wüßtest, wie oft ich um die Kraft beten mußte, ihn nicht zu erwürgen.«
Als Philippa ging, konnte Verna durch die Tür zum Vorzimmer erkennen, daß Millie auf die Erlaubnis wartete, eintreten und saubermachen zu dürfen. Verna räkelte sich gähnend, nahm den Bericht, den sie zur Seite gelegt hatte, und ging zur Tür. Sie winkte Millie in ihr Büro und richtete ihr Augenmerk auf die beiden Verwalterinnen, die Schwestern Dulcinia und Phoebe.
Bevor Verna ein Wort herausbringen konnte, erhob Schwester Dulcinia sich mit einem Stapel von Berichten. »Wenn Ihr soweit seid, Prälatin, wir haben das hier für Euch vorbereitet.«
Verna nahm den Stapel entgegen, der ungefähr soviel wog wie ein kleines Kind und legte ihn sich halb auf die Hüfte. »Ja, gut, danke. Es ist spät. Warum macht ihr zwei nicht Schluß?«
Schwester Phoebe schüttelte den Kopf. »Mich stört das nicht, Prälatin. Die Arbeit bereitet mir Spaß, und –«
»Und morgen ist wieder ein langer, arbeitsreicher Tag. Ich werde nicht zulassen, daß du bei der Arbeit einnickst, weil du nicht genügend Schlaf bekommst. Und nun geht schon, alle beide.«
Phoebe raffte ein Bündel Papiere zusammen, wahrscheinlich, um sie in ihr Zimmer mitzunehmen und weiter daran zu arbeiten. Phoebe schien zu glauben, daß sie sich in einer Art Papierwettrennen befanden. Wann immer sie vermutete, es könnte auch nur eine entfernte Chance bestehen, daß Verna tatsächlich aufholte, fing sie wie besessen an zu arbeiten und produzierte – fast wie durch Magie – immer mehr von diesem Zeug. Dulcinia schnappte sich ihren Teebecher vom Schreibtisch und ließ die Papiere liegen. Sie arbeitete in einem gemessenen Tempo, ging nie soweit, sich anzustrengen, um Verna vorauszubleiben, trotzdem gelang es ihr fast nach Belieben, stapelweise sortierte und mit Anmerkungen versehene Berichte abzuliefern.
Keine der beiden mußte befürchten, daß Verna sie einholte – mit jedem Tag geriet sie weiter ins Hintertreffen.
Die beiden Schwestern verabschiedeten sich und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, der Schöpfer möge der Prälatin einen erholsamen Schlaf gewähren.
Verna wartete, bis sie die Tür erreicht hatten. »Ach, Schwester Dulcinia, da wäre eine kleine Angelegenheit, um die du dich bitte morgen kümmern möchtest.«
»Natürlich, Prälatin. Um was geht es?« Verna legte den Bericht, den sie mitgebracht hatte, auf
Weitere Kostenlose Bücher