Die Günstlinge der Unterwelt - 5
als Ihr mit Richard aufgebrochen seid: Also, das war wirklich ein netter Junge. Freundlich wie ein Sonnentag war er. Hat sich immer lächelnd erkundigt, wie es mir ging. Die meisten anderen Burschen beachten mich gar nicht, aber der junge Richard hat mich immer gegrüßt, ja, das hat er, und ein freundliches Wort hat er auch immer für mich gehabt.«
Verna hörte nur halb hin. Sie erinnerte sich an den Tag, von dem Millie sprach. Sie und Warren waren zusammen mit Richard aufgebrochen, um ihn durch den Schild hindurchzubringen, der ihn an den Palast fesselte. Nachdem sie den Schild durchquert hatten, waren sie zum Volk der Baka Ban Mana gezogen und hatten sie alle in das Tal der Verlorenen, ihre alte Heimat, geführt. Von dort waren sie dreitausend Jahre zuvor vertrieben worden, damit die Türme errichtet werden konnten, die die Alte von der Neuen Welt trennten. Richard brauchte die Hilfe der Seelenfrau des Stammes.
Richard hatte unvorstellbare Kräfte benutzt, nicht nur Additive Magie, sondern auch Subtraktive, um die Türme zu zerstören, das Tal zu befreien und es den Baka Ban Mana zurückzugeben. Anschließend hatte er sich auf seine verzweifelte Mission begeben, den Hüter der Toten daran zu hindern, durch das Tor zur Unterwelt in die Welt der Lebenden zu entkommen. Die Wintersonnenwende war gekommen und gegangen, daher wußte sie, daß er dabei erfolgreich gewesen war.
Plötzlich drehte sich Verna zu Millie um. »Das ist fast einen Monat her. Lange bevor sie starb.«
Millie nickte. »Ja, ich glaube, das könnte in etwa stimmen.«
»Willst du damit sagen, daß sie dir den Ring fast drei Wochen vor ihrem Tod gegeben hat?« Millie nickte. »Warum so lange vorher?«
»Sie sagte, sie wolle ihn bei mir wissen, bevor es ihr noch schlechter ginge und sie nicht mehr in der Verfassung wäre, sich von mir zu verabschieden oder mir die richtigen Anweisungen zu geben.«
»Verstehe. Und als du danach noch einmal zurückkamst, vor ihrem Tod, ging es ihr da noch schlechter, so wie sie es vermutet hatte?«
Millie zuckte die Achseln und seufzte. »Das war das einzige Mal, daß ich sie gesehen habe. Als ich wiederkam, um sie zu besuchen und sauberzumachen, meinten die Wachen, Nathan und die Prälatin hätten strikten Befehl erlassen, daß niemand hineingelassen werden dürfe. Nathan sollte wohl nicht gestört werden, während er sein Bestes gab, um sie zu heilen. Also hab’ ich mich, so leise wie ich konnte, auf Zehenspitzen davongeschlichen.«
Verna seufzte. »Nun, danke für deine Auskunft, Millie.« Verna warf einen Blick auf ihren Schreibtisch und die wartenden Stapel mit Berichten. »Ich sollte wohl auch am besten wieder an die Arbeit gehen, sonst denken alle noch, ich sei faul.«
»Ach, das ist aber schade, Prälatin. So eine wundervolle, warme Nacht. Ihr solltet den Garten ein wenig genießen.«
Verna knurrte. »Ich habe soviel Arbeit zu erledigen, daß ich nicht einmal meine Nase hinausgesteckt habe, um mir den Garten der Prälatin anzusehen.«
Millie war schon auf dem Weg zu ihrem Eimer, als sie sich plötzlich noch einmal umdrehte. »Prälatin! Mir ist gerade noch etwas eingefallen, was Ann zu mir gesagt hat.«
Verna zog sich die Schultern ihres Kleides zurecht. »Sie hat dir noch etwas erzählt? Etwas, das du den anderen erzählt hast, aber vergessen hast, mir zu sagen?«
»Nein, Prälatin«, flüsterte Millie und eilte herbei. »Nein, sie erzählte es mir und meinte, ich solle es niemandem weitererzählen, außer der neuen Prälatin. Aus irgendeinem Grund ist es mir bis zu diesem Augenblick völlig entfallen.«
»Vielleicht hat sie die Nachricht zusammen mit allem übrigen mit einem Bann belegt, damit du dich bei allen anderen außer der neuen Prälatin nicht daran erinnerst.«
»Das könnte sein«, sagte Millie und rieb sich die Lippe. Sie sah Verna in die Augen. »Ann hat solche Sachen häufiger gemacht. Manchmal konnte sie ganz schön heimlichtuerisch sein.«
Verna lächelte freudlos. »Ja, ich weiß, ich habe auch gelegentlich unter ihren Machenschaften leiden müssen. Wie lautet die Nachricht?«
»Sie meinte, ich soll Euch sagen, daß Ihr darauf achten sollt, nicht zuviel zu arbeiten.«
Verna stemmte eine Hand in ihre Hüfte. »Das ist die Nachricht?«
Millie nickte, beugte sich vor und senkte die Stimme. »Außerdem meinte sie, daß Ihr Euch gelegentlich im Garten entspannen sollt. Aber als sie das sagte, zog sie mich am Arm zu sich, sah mir direkt in die Augen und meinte, ich solle Euch auch
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