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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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konnte erkennen, wie sich das Zittern nicht nur verstärkte, sondern wie es seinen ganzen Körper erfaßte und sich zu einer schrecklichen, rhythmisch zuckenden Bewegung steigerte.
    Tremor, dachte sie, Schütteltremor dazu. Und dann ganz automatisch: Diazepam! Er braucht sofort eine Spritze. Ohne jede Überlegung, allein unter dem Impuls zu helfen, lief sie zum Richtertisch, und Martin, der sich inzwischen gleichfalls erhoben hatte, sah ihr dankbar entgegen: »Ich habe bereits nach unserem Arzt gerufen, Frau Doktor. Er ist im Moment nicht auffindbar. Sehen Sie eine Möglichkeit …«
    Zwei Uniformierte hatten Ladowsky inzwischen auf den Stuhl niedergezwungen und hielten ihn in ihrem Griff; das Schütteln und Zucken konnten auch sie nicht verhindern.
    »Lassen Sie ihn los, Herrgott! Er muß sofort in Ruhelage gebracht werden«, sagte sie. »Und dann braucht er möglichst schnell Diazepam.«
    »Was ist das?«
    »Ein Tranquilizer. Und er braucht es sofort, sonst bekommt er Probleme mit den Atemwegen und dem Kreislauf.«
    Martin nickte und gab seine Anordnungen.
    Sie hatten ihn in einen kleinen Raum direkt gegenüber dem Richterzimmer geschleppt, vor eine Wand grauer Aktenschränke.
    Isabella kniete sich neben der ausgestreckten, noch immer zitternden Gestalt dort auf dem Boden nieder. Die Haut war schweißnaß, die linke Seite zitterte noch immer, doch der Anfall klang ab. Der Puls? Flach, schnell … Das Herz brachte keine Leistung.
    »Habt ihr denn keinen Arzt im Gericht?« Sie sah an einer Uniform hoch.
    »Schon. Aber wir konnten ihn nicht finden. Jetzt haben wir den Notarzt gerufen.«
    Sie beugte sich wieder über ihn. Jetzt schlug er die Augen auf. Die Pupillen waren leicht erweitert, aber der Blick sagte ihr, daß er völlig klar war und daß die Qual, die aus ihm hervorbrach, mit etwas anderem zu tun hatte als mit einer entgleisten Herz- und Atemtätigkeit.
    »Ludwig, bleib ruhig. Nur ruhig … Nach der Spritze geht's dir besser.«
    »Und dann?« sagte er. Doch als sie nun nach seiner Hand griff, streckte sie sich, die Finger preßten sich gegen ihre Handmulde, und alles Zittern erlosch. »Ich möchte … möchte, daß Schluß ist. Sie verstehen es ja doch nicht. Und können es nicht verstehen. – Du auch nicht … Und ich, ich kann's ihnen nicht sagen …«
    »Was kannst du ihnen nicht sagen, Ludwig?«
    Er bewegte den Kopf und sah sie an, aus diesen kindlichen, flehenden Augen: »Du, ja … Du vielleicht …«
    Über ihn gebeugt, das Gesicht so nah, seine Hand in ihrer Hand – vielleicht war dies alles notwendig, daß er endlich sprechen konnte. »Was können die Leute nicht verstehen?«
    Sein Mund verzog sich. »Irgendwo hab' ich mal was gelesen … Da stand … stand … die Seele oder das Bewußtsein des Menschen … sei so unendlich tief, daß sich selbst Gott darin verlieren könne … und deshalb sei immer Platz für etwas anderes … Und so ist es auch. Immer ist Platz für ihn …«
    »Für ihn?«
    »Für den Engel des Bösen«, sagte Ludwig Ladowsky.
    Er schloß die Augen, und durch seine Hand floß erneut ein leises Beben; sie fühlte, wie es sich ihr mitteilte, in sie eindrang. »Das ist es doch«, flüsterte er. »Ich hab' es … hab' es nicht getan. Wie denn …? Ich … ich wollte doch nur jemand haben, der mich lieb hat …«
    »Ludwig!«
    Doch Ladowsky gab keine Antwort mehr.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter: »Verzeihung, kann ich mal?«
    Sie drehte sich um, sah ein Paar Turnschuhe und zwei weiße Hosenbeine und dann in das Gesicht eines jüngeren Mannes, der ein Stethoskop in der Hand hielt.
    Der Notarzt war gekommen …
    »Laß mich nicht allein«, flüsterte Ludwig Ladowsky. »Bitte, laß mich nicht …«
    * * *
    Der Prozeß stand auf Messers Schneide.
    Der zweite Zusammenbruch des Angeklagten warf sofort die Frage auf, ob er überhaupt weitergeführt werden könne oder von neuem begonnen werden müßte. Das Verfahren lief nun an seinem fünften Tag. Nach einer Verfahrensdauer von zehn Tagen war der Vorsitzende zwar durch das Gesetz berechtigt, eine Unterbrechung zu verfügen – doch sie hatten gerade die Hälfte dieser Zeit erreicht.
    Alles würde von Ludwig Ladowskys Zustand und seinem Verhalten abhängen. Auch der Gerichtsarzt, der endlich erschien, konnte zwar eine Besserung erkennen, doch der Herzschlag war noch immer durch häufige Extrasystolen gestört, der Blutdruck unstabil, und so erschien es fraglich, ob der Angeklagte durchhalten würde.
    »Ich brauche nur eine Stunde

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