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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pause«, murmelte Ladowsky.
    »Und dann?«
    Er sah sie an, die um ihn herumstanden: Dr. Fuhrmann, einen der beisitzenden Richter, seine beiden Bewacher, den Arzt – mit Blicken von so gespannter Eindringlichkeit, daß alle unwillkürlich den Atem anhielten.
    »Und dann ist alles zu Ende«, sagte er.
    Sie schauten sich an.
    »Nur eines …«
    »Ja?«
    »Daß ich vielleicht noch mal mit Frau Reinhard sprechen kann …«
    »Während der Verhandlung?«
    »Ja. Falls ich das brauche.«
    Fuhrmann nickte. »Ich glaube schon, daß sich das regeln läßt.«
    * * *
    Isabella verließ das Gerichtsgebäude.
    Reuter rechnete damit, daß er sie am Nachmittag wegen des Attentats auf Ladowskys Mutter als Zeugin aufrufen würde, aber wer konnte schon einen Zeitpunkt bestimmen? Sie hatte sich bei ihm abgemeldet. Der Aufruhr in ihr verlangte Klärung, Ruhe, Abstand.
    Sie stieg in ihren Wagen. Der Andrang vor dem Landgericht hatte nachgelassen, doch das Bild der Gerichtsstraße und Heiligkreuzgasse wurde noch immer geprägt von Absperrgittern, Beamten der Bereitschaftspolizei in ihrer martialischen Uniform, den Info-Ständen und den schwarzen Fahnen.
    DER ENGEL DES BÖSEN …
    Jeden Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen, erdrückte die Erinnerung an die Minuten, als Ladowsky vor ihr auf der Trage gelegen hatte: an sein schweißgebadetes und so unbegreiflich sensibles Jungengesicht, an die Augen, die um Verstehen flehten. Und dann seine Worte … War das nicht so gewesen, als führe er einen Dialog mit sich selbst, wenn er von dem ›anderen‹ sprach?
    Sie hatte den Gedanken längst erwogen, doch immer wieder als zu weit hergeholt abgelehnt. Und trotzdem, vielleicht ließ sich das ganze Rätsel Ladowsky mit drei Abkürzungsbuchstaben erklären: MPS – Multiple Personality Syndrom … Vielleicht stellte er tatsächlich einen Fall von gespaltener Persönlichkeit dar, eine Art Dr. Jekyll, Mister Hyde – ein Mensch, der in sich so zerrissen war, daß sein Bewußtsein verschiedene Identitäten zu entwickeln versuchte. In den USA, wo man vor allem unter den Vietnamveteranen Tausende derartiger Krankheitsgeschichten unter die Lupe nahm, war man zu dem Schluß gelangt …
    Eine Autohupe ließ sie zusammenfahren. Im letzten Augenblick drückte Isa auf die Bremse: Beinahe hätte sie ein Stoppschild überfahren.
    Sie atmete tief durch und fuhr erst dann wieder an, als erneut, diesmal von hinten, ungeduldiges Hupen sie dazu aufforderte.
    Nein, Ladowsky hatte kein gespaltenes Ich. Er hatte überhaupt keines, darin lag das Problem. Er war wie ein Kind, ein unfertiges Geschöpf, in dem sich irrer, tödlich verzweifelter Wahn hatte ausbreiten können. Und außerdem: Was nützten alle Etiketten, was nützten alle Fachausdrücke – auf ein Phänomen wie diesen Jungen trafen sie doch nicht zu …
    Langsam, in ihre Gedanken verloren, fuhr sie weiter, dem Westend entgegen, am Grüneburgpark vorbei, um dann wieder zur City einzubiegen.
    Warnschilder tauchten auf. Die Fahrbahn verengte sich. Links von ihr zog sich eine Wand aus Betonfertigteilen, sie verdeckte die Baugrube vor der Sicht, dann kamen Bretterstapel, Bewehreisen, Sandberge und große, gelbe Maschinen.
    Isabella fuhr noch immer langsam. Wie lange ging das denn noch …? Sie drehte den Kopf, um sich zu orientieren, und dabei fiel ihr Blick in den Rückspiegel, und der Rückspiegel wiederum zeigte ihr die breite Kühlerhaube einer großen Mercedes-Limousine, die rasch aufholte und jetzt schon fast ihre hintere Stoßstange berührte.
    Was wollte der? Was sollte das?
    Sie fuhr auf der linken Fahrspur; dies hier war Einbahnverkehr. Unwillkürlich drückte sie den Golf noch weiter nach links, der Mercedes hinter ihr aber scherte nach rechts aus, verlangsamte offensichtlich die Fahrt, zog aber Zentimeter nach Zentimeter weiter nach vorne an ihr vorbei.
    Sie hörte das blecherne Prasseln an der Karosserie, als seine schweren Reifen den Split, der auf der Fahrbahn lag, hochschleuderten.
    Was war los mit diesem Idioten? Und was war das für eine Scheißmanier zu überholen? Warum tat er das? – Was wollte er überhaupt? Aber die Welt steckte ja voll Verrückter …
    Der rotmetallic schimmernde Außenspiegel des Mercedes tauchte jetzt auf, als sie hinüberblickte, so nah, daß er beinahe den Spiegel ihres Golfs berührte. Das Fahrerfenster war herabgelassen, auch das sah sie, als sie noch näher an einen Baubretterstapel steuerte, um Platz zu machen.
    Dann sah sie ihn, sah ihn so deutlich und klar wie

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