Die Gutachterin
vergangenen Jahr, jagten sie einen Exfremdenlegionär, der mit seiner verdammten Makarovpistole nicht nur bei seinen Tankstellenüberfällen herumfuchtelte, sondern gleich noch, und das mit vorgehaltener Waffe, serienweise Frauen vergewaltigte. Harte Rocker mit weichem Keks; Fremdenlegionäre aus Halle mit einer 9-mm-Makarov, irgendwie paßte das für Berling ins Bild.
Doch was ihn erwartete, als er am Abend dieses Maitages seinen Täter holen wollte und sich plötzlich vor einer Luxusvilla mit Doppelgarage und Swimmingpool wiederfand, brachte ihn doch ziemlich aus der Fassung.
Noch mehr aber verblüffte ihn der Mann, der ihm dann gegenüber stand: ein Meter achtzig, etwa fünfzig Jahre, Schmerbauch, Halbglatze, Zigarre und Kaschmirweste – der Bonzenunternehmer aus dem Bilderbuch. Und genauso war sein Verhalten.
»Ich? Was wollen Sie von mir? Was reden Sie da? – Die Monika, klar kenn' ich die. Der Sinter, ihr Vater, arbeitet für mich. Aber 'ne Zwölfjährige … Sind Sie wahnsinnig geworden?«
Doch Berling hielt ihm den Versicherungsausdruck unter die Nase. Und auch die Reifen des dicken Mercedes in der Garage waren inzwischen von seinen Leuten überprüft worden. Das Profil paßte zu den Reifenspuren vom Wald …
»Mit so 'nem Ding kommen Sie zu mir? Und Sie wollen Polizeikommissar sein? Ich laß mich doch nicht von einem wie Ihnen fertigmachen.«
Es war das erstemal in seiner Laufbahn, daß Berling mit der geballten Faust ausholte. Und wäre nicht Hansi Ottinger, sein Inspektor, dabei gewesen, hätte er zugeschlagen.
Der Mann hieß August Beer, war zweiundfünfzig Jahre alt und Besitzer eines großen Kieswerkes. Otto Sinter, Monikas Vater, karrte mit seinen drei Lastwagen Beers Kies ab. Seit August Beer die kleine Monika einmal auf dem Beifahrersitz eines Lkw ihres Vaters entdeckt hatte, begann das, was Beer im Prozeß seinen ›freundschaftlichen Umgang‹ mit den Sinters nannte. Das Schlimmste an der Geschichte blieb: Dreimal hatte Monika zuvor ihren Eltern gesagt, daß Beer sie belästige und betätschle und daß sie Angst vor ihm habe. Dreimal hatten die Eltern sie beschwichtigt. Es ging um den Auftrag, es ging ums Geld.
Beer bekam zwei Jahre – auf Bewährung. Na schön, man konnte sagen, er hatte sich bis auf die Knochen blamiert, war nicht nur seine Nebenämter und -ämtchen, er war seinen guten Ruf los und am Ende gezwungen, sogar sein Unternehmen dichtzumachen.
Was aber hatte ihn angetrieben? Was tickte in ihm, was brachte einen ›erfolgreichen Unternehmer und angesehenen Bürger‹ dazu, seine ganze Lebensarbeit zu riskieren? Triebstau, die Lust am Unmöglichen, Allmachtsgefühle, der Sex? In dieser Gesellschaft verkaufte man mit Sex alles. Sex im Fernsehen, bei der Autowerbung, Sex in der Mode, nicht einmal einen Hamburger oder einen Teller Fritten konnte man essen, ohne daß von irgendeiner Plakatwand ein junger, nackter Busen auf den Teller zu rutschen drohte. Sex, der Treibstoff der Rendite, nein, schon eher das Schmiermittel, und der Konsumartikel Nummer eins. Doch war das alles?
Wieso, in Teufels Namen, mußten auch noch die Kinder herhalten …? Weil die Männer der Frauen überdrüssig waren? Wieso, Herrgott …
Berling hatte das Gefühl, als durchquere er einen stickigen, klitschigen, undurchdringlichen Dschungel, eine Art unentwirrbares und unendliches Labyrinth. Er wurde mit Informationen eingedeckt und sah doch keinen Weg und schon gar keine Begrenzung. In diesem Dschungel war er auf Jagd, sollte sich ein Täterbild machen, wie es die Staatsanwaltschaft verlangte … Nur wie?
Doch Jagd blieb Jagd. Und wieder war es soweit …
»22, 20, 18 …« Schiermann betete die Zahlen herunter. Und dann sagte er: »Du mußt auf die andere Straßenseite rüber, Berling. Das dritte Haus dort.«
Außer den Zahlen und dem Satz hatte er auf der ganzen Fahrt von Frankfurt kaum was gebracht. Er gehörte nun mal zum K-13, der Lieblingstruppe des so ungemein tüchtigen Staatsanwalts Saynfeldt, und so mußte er zeigen, was er von Dorfpolizisten wie Berling hielt.
Berling parkte den Wagen und sah hinüber: der übliche Jägerzaun, die üblichen drei halbverhungerten Tannen, das Haus aus dem Katalog – Betonsockel, weißverschlämmt, schwarzes Kunstschieferdach, die Rahmen eloxiertes Metall. Das Nebenhaus dieselbe Marke – nur, das hatte noch einen Anbau. Was auf beiden Grundstücken fehlte, waren die Gartenzwerge.
»Wer führt die Vernehmung?«
Eddy Schiermann warf ihm einen gleichgültigen
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