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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorliegt, aber er versetzt sich in ein anderes Selbst, und das bißchen Identität, das er besitzt, zerbricht unter der geringsten Belastung.«
    »Und dann führt er fremde Kommandos aus, die in seiner verdammten Birne ausgesprochen werden? Meinen Sie das? – Soll ich Ihnen mal sagen, Isabella, was ich im Augenblick denke? Ich denke, die Kommandos kommen von ganz woanders. – Sie kommen von dem Scheißding, das er zwischen seinen Beinen hat … Und noch etwas: Wissen Sie, was mir bei Ihnen auffällt? Ihr Mitgefühl … Sicher hat das mit Ihrem Job zu tun, sicher ist das große Verstehen die erste Voraussetzung für Ihre Arbeit … Aber das Opfer? Was diesem Mädchen, dieser Evi Fellgrub angetan wurde, was sie erlitt, ehe sie sterben, auf diese Weise sterben mußte, davon höre ich kein Wort …«
    »Das stimmt doch nicht.« Sie fuhr herum: »Natürlich denke ich ständig an sie. Aber es ist nun mal das Persönlichkeitsbild des Täters, das zur Diskussion steht.«
    Reuter hatte bisher zur Scheibe gesprochen, und trotz der Anklage in seinen Worten war die Stimme ruhig und gelassen geblieben, doch jetzt sah er sie an, und in seinen Augen lag etwas wie verärgerte Herausforderung. »Mir ist klar, was Sie jetzt sagen werden, Isabella: Dies ist mein Job. – Aber ich habe Sorge, irgendwie habe ich Sorge, daß Sie sich in etwas verrennen könnten, das mir noch nicht klar ist.«
    »Es hat nur mit meiner Arbeit zu tun«, erwiderte sie heftig. »Und ich verrenne mich in nichts. Aber es gibt keine andere Methode, als so vorzugehen.«
    »Methode? Zu meiner Methode gehört, daß ich einen klaren Kopf behalte. Und all die Fragen reduzieren sich mir dabei immer nur auf diesen einen einzigen Punkt: Ist er ein begnadeter Schauspieler, einschließlich Ihres hysterischen Formenkomplexes, ist er intelligent genug, uns an der Nase herumzuführen – auch Sie, die Psychologin –, oder ist er echt irre.«
    »Er ist es«, gestand sie.
    »So? – Nehmen wir mal den Entführungswagen, diesen Fiesta. Den hat er am Morgen vor der Tat geklaut. Und wo? Nicht in Frankfurt, obwohl er eine Frankfurter Nummer hatte, auch nicht in Walldorf, wo er ja zu Hause war, nein, in Wächtersbach. Und das ist ganz in der Nähe von Bad Orb. Er sei mit dem Zug angereist, hat er mir erzählt, er habe eine Spessartwanderung unternehmen wollen, um nach den ganzen Pleiten, die er erlebt hatte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Dann habe er den Wagen gesehen, der Schlüssel steckte, eine richtige Einladung also. Und weil er nicht das Geld für die Heimfahrt ausgeben wollte, hätte er sich in den Wagen gesetzt, um zurück nach Walldorf zu fahren. – Klingt alles ganz logisch. Logisch wäre aber auch gewesen, daß er, genau so, wie es der Schreiner bei der kleinen Nathalie tat, sein Opfer bereits ausgespäht hatte und sich den Wagen als Tatfahrzeug besorgte – daß er also ganz klar und kühl sein Verbrechen plante.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Gefühlsmäßig?«
    Sie schüttelte heftig den Kopf, doch der ironische Einwand blieb, wurde zu einem Widerhaken, der sich in ihrem Kopf verfing. »Nach allen professionellen Kriterien ist ein solches Verhalten, wie er es zeigt, nicht vorgetäuscht. Hinsichtlich des System, in das er sich verfangen hat, ist es völlig schlüssig, verstehen Sie?«
    »Als ob uns das weiterhelfen würde, wenn ich es verstehe. Ich weiß nur eines: Saynfeldt wird sich mit Wonne auf diese Autogeschichte und alle anderen ähnlichen Geschichten stürzen, die er inzwischen ausgraben läßt.«
    »Aber er kann nichts beweisen.«
    »Wissen wir es? Aber darauf kommt es jetzt noch nicht einmal an. Sehen Sie, Isabella, ich verfolge meine Linie, wenn ich mir sicher bin, deshalb spiele ich den großen Zweifler. Das Schlimme an der ganzen Sache ist aber die Atmosphäre, in der alles abläuft. Auch die Strafkammer, die Richter und Schöffen sind nicht zu beneiden … Der Vorsitzende der Strafkammer zum Beispiel, der das erste, noch milde Schreiner-Urteil fällte, mußte auf Anweisung des Landgerichtspräsidenten auf Urlaub gehen, da er Morddrohungen erhalten hatte. Wußten Sie das? Und ich garantiere Ihnen: Bei diesem Medien-Rummel kommt es bei uns noch schlimmer.«
    »Was soll das heißen?«
    »Daß wir, daß auch Sie besser auf Illusionen verzichten. Im Fall Schreiner erhielt der Gutachter massive Drohungen; obwohl er Schreiners Schuldfähigkeit attestiert hatte und dringend eine Therapie empfahl, weil er in ihm einen Wiederholungstäter vermutete …

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