Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
von Anjou.«
»Was! Fogacer, wie wunderbarlich! So hoch seid Ihr gestiegen zu Paris? Man spricht viel Gutes von dem berühmten Miron.«
»Zu Unrecht. Er ist ein Esel im Talar. Und ein Erzknauser. Von seinem reich mit Dukaten gedeckten Tisch fallen mir nur wenige Krümel zu.«
Worauf er aus vollem Halse lachte, die Braue diabolisch verzogen.
»Zu allem Überfluß«, hub er wieder an, »kostet es mich gar große Mühe, ihm zu verbergen, daß mein Wissen das seinige weit übertrifft; denn offen gesagt, wenn er sich dessen bewußt und auch bescheiden genug wäre, könnte er zu mir sprechen wie der heilige Augustinus zu Gott dem Herrn:
Scientia nostra, scientiae tuae comparata, ignorantia est.
1 «
»Hoho, Fogacer!« entgegnete ich, »seid Ihr da nicht ein wenig dünkelhaft?«
»Keineswegs. Mit meiner Bescheidenheit könnte ich eine Nonne beschämen. Unter den zweiundsechzig Ärzten, Siorac, welche zu Paris ihre mörderische Kunst betreiben, sind nicht mehr als fünf oder sechs, zu welchen ich zähle, die wissen, daß sie nichts wissen. Alle anderen, eingeschlossen Miron, sind Scharlatane, die mit Lug und Trug Quacksalberei betreiben, sich im Glorienschein ihres schlechten Lateins sonnen und ihreabscheulichen Drogen vergöttern wie die Mönche ihre Reliquien.«
»Ha, Fogacer!« sprach ich, »jetzt unterschätzt Ihr Euch: Ihr seid so unwissend nicht, wie Ihr behauptet. Habt Ihr nicht mit Fleiß seziert und studiert in den langen Jahren zu Montpellier?«
»Ich buchstabiere, wo ich lesen müßte«, entgegnete Fogacer. »Was weiß ich von der Geographie des menschlichen Körpers? Was kennt Ihr davon, Siorac?«
»Das Abc.«
»Und wer hat es Euch gelehrt?«
»Servet, Vesalius, Ambroise Paré.«
»Servet«, entgegnete Fogacer mit seinem hämischen Grinsen, »ist von Euerm Calvin zu Genf auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, Vesalius zum Tode verurteilt von der Inquisition Seiner Katholischen Majestät. Und Ambroise Paré, der einzige noch Lebende, wird von den Professoren der Medizinischen Schule zu Paris verlacht und verachtet, weil er Chirurg ist und nicht Doctor ihrer albernen, altväterlichen Medizin, welche nichts ist als eitles Geschwätz, törichter Aberglaube, verstaubte Überlieferung …«
Worauf die blonde Babette eintrat, ein dampfendes Auftragsbrett vor dem runden Busen.
»Hier ist substantiellere Kost«, sprach ich lachend. »Esset, Fogacer, esset!
Vita brevis est
1 , und wie lange dauert es, seine Kunst zu erlernen!«
Und obgleich nach unser beider Meinung die Medizin sich gegenwärtig in endlosen scholastischen Disputationen zu verlieren schien, verspeisten wir höchst vergnügt diese gesunde Kost, indes mir Fogacer das Wie und Was seiner überstürzten Flucht aus Montpellier berichtete, welchselbigen Bericht ich hier nicht wiedergeben will aus Furcht, die empfindlichen Damen zu verletzen, deren zartes Geschlecht in seiner Historie nicht vorkommt. Ich meinerseits berichtete ihm, als er geendet, von meinem Duell mit Fontenac, dem unbilligen Prozeß, den man mir vor Gericht gemacht, meinen Bemühungen, die Gnade des Königs zu erlangen und meine Angelina zu finden.
»Und was denket Ihr«, so fragte Fogacer, »von der großen Stadt Paris, in welche es Euch verschlagen?«
»Es finden sich darinnen Schönheiten ohne Zahl und Unflat ohne Maß.«
»Hoho!« erwiderte Fogacer, indes er lachend aufstand und seine langen Arme streckte, welche plötzlich das ganze Kämmerchen auszufüllen schienen. »Eure Zunge ist spitz wie eh und je, Siorac. Gewißlich, anderenorts lebt man besser. Doch hier in Paris findet man so viele Talente, eine solche Mannigfaltigkeit der Wesensarten und Verhaltensweisen, so viele Reichtümer und auch so viele Kunstwerke. Habt Ihr die Nymphen gesehen, welche Jean Goujon für den Brunnen der unschuldigen Kindlein geschaffen?«
»Noch nicht.«
»Ei, Siorac! Der Ihr so vernarrt seid in den Körper des Weibes, eilet, sie Euch anzusehen! Ihr werdet begeistert sein. Ich selbst, der ich darin nur schöne, in Stein geformte Bewegungen sehe, bin davon angetan.«
Dabei blickte er mich mit seinen listigen braunen Augen an und lachte glucksend, worauf er den Fuß auf seinen Hocker setzte, das Knie beugte gleich einem Fechtmeister, welcher die Gelenksamkeit seines Beines prüft, und mit plötzlich ernster Miene hinzufügte:
»Siorac, ich muß gehen. Der gelehrte Miron erwartet mich im Louvre, und ich will nicht, daß er in seiner unglaublichen Dummheit
in absentia mea
1 den Herzog von
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