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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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wohltuenden Frische war, daß einen die Lust überkam, wie ein Vögelein zu zwitschern und, strahlend vor Hoffnung, trunken vor Lebensfreude, sich mit ausgebreiteten Flügeln in die dunstige, silbrige Helle des anbrechenden Tages zu erheben.
    So schritt ich leichten Fußes über das Pflaster und dachte gar nicht mehr an mein verflixtes geflicktes Wams, welches – einwahres Nessosgewand – mir den Zutritt zum König und die Anrufung seiner Gnade vereitelte. Vielmehr sah ich, seitdem Fogacer (trotz seiner Gottlosigkeit so gefällig und erbötig) mir versprochen, meine Angelina ausfindig zu machen, selbige in Gedanken an meiner Seite schreiten in ihrem weichen, schmiegsamen Gang, den Kopf auf dem langen grazilen Hals mir zugewandt und mich mit ihren glänzenden Rehaugen anblickend, deren anmutiger Liebreiz für mich durch nichts zu übertreffen ist.
    Dies alles hinderte mich jedoch nicht, bald hier, bald da stehenzubleiben, auf Pariser Art alles zu begaffen und zu bestaunen, und es war in dieser großen Straße wohl kein Kaufladen (deren es dort sehr schöne gibt), dessen Auslagen ich nicht voller Neugier betrachtete. Schließlich ging ich in einen hinein und kaufte einen Handkreisel, welchen ich vergnügt auf seiner Spitze tanzen ließ, indem ich ihn mit Daumen und Zeigefinger in Schwung versetzte, ein Spielwerk, das mich in meinen zarten Kinderjahren begeistert hatte, so daß mir der arme Faujanet unzählige davon verfertigen mußte wie auch solche, die man mit einer Peitsche in immer neue Drehungen versetzt. Ich zahlte zwei Sols für den Kreisel, welcher mein Herz gerührt mit der Erinnerung an das heimatliche Nest, worinnen mir die Federn gewachsen. Doch sogleich schlug mir mein hugenottisches Gewissen, und ich bereute diese törichte und unnütze Ausgabe (nach allem, was mich die Badestuben gekostet), so daß ich mir zu seiner Besänftigung vornahm, das Spielwerk bei meiner Rückkehr nach Mespech meiner kleinen Schwester Catherine zu schenken, die indes schon sechzehn Jahre zählte und mehr daran dachte, den Männern den Kopf zu verdrehen, als Kreisel zu drehen.
    Wie ich durch Meister Recroches Werkstatt schritt, verzog Coquillon, ganz damit beschäftigt, nichts zu tun, den breiten Mund zu einem Lächeln von einem Ohr zum anderen, und Baragran sagte mir nach einem höflichen Gruße, daß mein Miroul im Stall die Pferde striegele und meine Brüder wohl noch schliefen, denn er habe oben noch keine Schritte gehört. Meine kleine Teufelswespe indessen, die nach den elf Stunden Schlaf in meinen so keuschen Armen recht frisch und munter aussah, nähte aus Leibeskräften, kerzengerade auf ihrem Hocker sitzend, die Schultern nach hinten gezogen, das anmutige Gesichtmit den schwarzen Haaren schön wie nie anzusehen. Doch hatte sie, als ich an ihr vorbeiging, weder ein Lächeln noch einen Blick, ja nicht einmal einen Gruß für mich.
    Kaum war ich indes in meinem Kämmerleinchen, da klopfte es an der Tür, und Alizon stand auf der Schwelle, das Gesicht verschlossen, aus ihren pechschwarzen Augen mich ohne jede Freundlichkeit anblickend.
    »Monsieur«, sprach sie, »eine Hausmagd des Herrn Audienzrates hat einen Brief für Euch gebracht.«
    Sie reichte ihn mir mit steif ausgestrecktem Arm und wandte sich darauf zum Gehen, doch ich hielt sie mit der Rechten an ihrer kühlen Schulter zurück und sprach:
    »Alizon, was ist mir dir? Empfindest du noch immer Zorn auf mich?«
    »Monsieur«, erwiderte sie mit Augen voller jähem Zorn und entzog sich meiner Hand, ohne jedoch davonzulaufen, »habt Ihr mich recht betrachtet? Bin ich etwa häßlich und abstoßend? Bin ich eine schmutzige Vettel? Oder ein zahnloses altes Weib? Und glaubt Ihr etwa, die Baronin des Tourelles sei wohlgestalter als ich unter all ihrer Kleiderpracht?«
    »Aber nein, Alizon«, entgegnete ich, die Ursache dieses großen Zornes begreifend, »du bist wohlgestalt an Leib und Gliedern, jung und blühend, sauber und schmuck wie ein blanker Taler, schlank und anmutig. Mit einem Busen zum Anbeißen.«
    »Ihr wollt mich narren, Herr«, stieß sie mit funkelnden Augen hervor, »ich bin alt und verkommen und stinke. Denn hättet Ihr sonst zwölf Stunden an meiner Seite geschlafen, ohne zu nehmen, was Euch gehörte?«
    »Aber Alizon, wie hätte ich das können, nachdem du mir vorgeworfen, ich hätte dich gekauft!«
    »Was kümmertet Ihr Euch um Worte, die im Zorn gesprochen waren! Das Mahl war angerichtet, Ihr hättet es verspeisen müssen! Anstatt mich durch Eure

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