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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Tage, die der Herr werden läßt, denn die Amme wohnt in der Gasse, allwo ich selbst meine Kammer habe. Und mit welcher Freude sehe ich ihn an der Brust der wackeren Amme saugen, wie er ihr bald auf den Busen patscht, sie bald in die Haare faßt und sie, wie auch mich, mit seinen hübschen Augen lieblich anlächelt.«
    »Spricht er schon?«
    »Wie ein Engel Gottes! Heilige Jungfrau, wie possierlich er stammelt! Er spricht die Wörter doppelt oder verdreht sie, daß es eine Lust ist, ihn mit seiner lieblichen Stimme plappern zu hören, und was er noch nicht sagen kann, deutet er mit Gesten und Zeichen seiner Fingerchen an. Oh, Monsieur! ich habe ihn so sehr in mein Herz geschlossen, daß ich ihn auch liebe, wenn er böse und bockig ist, sich auf den Boden wirft, mit den Füßen tritt, sein Mäulchen verzieht, aus vollem Halse weint und schreit, und das alles wegen einer Nuß, die ihm aus der Hand gefallen ist, oder einer ähnlichen Kleinigkeit. Ist das nicht wunderbar?«
    Es klopfte an der Tür, und Babeau kam mit meiner Abendmahlzeit, wovon Alizon, unaufhörlich von ihrem kleinen Henriot erzählend, schier achtlos ihr Teil nahm, daß sie jedoch im Nu verschlungen hatte, so heiß schien ihr Hunger zu sein.
    Nachdem aber der Abendimbiß verspeist, schwieg sie von neuem und streckte sich ebenso steif und gleichgültig wie vorher auf das Bett nieder, die Augen geschlossen und die Hände über der Brust gekreuzt wie eine ruhende Marmorstatue auf einem Grabmal. An dem gelösteren Zug um ihren Mund ersah ich indes, daß meine Fragen nach ihrem Kindelein sie milder gestimmt hatten und daß es sie nunmehr etwas Mühe kostete, ihr versteinertes Aussehen beizubehalten.
    Ich ließ mich wieder neben dieser Statue nieder, doch diesmal schob ich meinen Arm unter ihren Hals, so daß ihr liebreizender Kopf mit den schwarzen Locken auf meiner Schulter lag. Worauf ich lange Zeit weder eine Bewegung machte noch ein Wort sprach, so daß sie am Ende mit schläfriger Stimme sagte:
    »Worauf wartet Ihr noch, Monsieur?«
    »Schweig still, Alizon!« entgegnete ich in strengem Ton, welcher gewißlich nicht meinem Gefühl entsprach. »Sprich nicht. Ich denke nach.«
    »Es ist nur, Monsieur«, sprach sie mit schwacher Stimme, vor Müdigkeit schon ganz benommen, »wenn Ihr noch länger säumet, werde ich, todmüde, wie ich bin, in einen so tiefen Schlaf versinken, daß kein Kanonenschuß mich mehr zu wecken vermag.«
    »Still!« sprach ich, »still, Alizon! Störe mich nicht!«
    Auf dieses Geheiß hin verstummte sie und schlief gleich darauf ein, wobei ihr Kopf, leicht wie ein Vogel auf meiner Schulter liegend, sich an meinen Hals anschmiegte und dort gelöst in schier kindlichem Vertrauen ruhte, daß es mir das Herz rührte. Oh, gewiß! ich war nicht unempfindlich gegen ihr Unglück, ich, der ich mich arm wie Hiob wähnte, weil mir die nötigen Dukaten fehlten, mich mit einem Wams nach höfischer Mode zu schmücken, und der ich doch in dieser einen Nacht in der Badestube so viel ausgegeben hatte, wie die unglückliche Jungfer in fünf endlosen Tagen bei Recroche verdiente. Wie grausam verfährt das Leben mit diesen armen Frauenzimmern, welche zusätzlich zu den Übeln, darunter auch die Männer ihres Standes leiden, noch für eine Schwängerung büßen, welche sie nicht gewollt und die außerhalb der Ehe so wenig geduldet ist, daß man mit Fingern auf sie zeigt, wenn sie ihre Leibesfrucht austragen, und sie an den Galgen bringt wie meine arme Fontanette, wenn sie sich ihrer zu entledigen suchen.
    So betrachtete ich Alizon mit Anteilnahme. O Himmel! wie fest schlief sie in ihrer zarten dunklen Nacktheit, angeschmiegt an meine Seite, die Widrigkeiten ihres so harten Lebens vergessend für die Dauer der barmherzigen Nacht, doch nicht die große Liebe zu ihrem kleinen Henriot, wie ich aus dem schwachen Lächeln zu ersehen glaubte, welches noch immer um ihre Lippen spielte.
    Bei diesem letzten Gedanken spürte ich, nach einem so langen, erlebnisreichen Tage müde geworden, den Schlaf meine Glieder umfangen wie das warme Wasser eines Bades, und leicht belustigt über mich selbst, daß ich einmal sogar an der Keuschheit Gefallen fand und noch sechs Sols dafür gezahlt hatte, schlief ich ohne Bitterkeit ein.

SECHSTES KAPITEL
     
    Oh! welch seltsame Überraschungen warteten auf mich, als ich den folgenden Morgen in dem Kämmerchen erwachte, worinnen ich am Abend vorher so tugendlich an Alizons Seite eingeschlafen war.
    Von Alizon nämlich war nicht die

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