Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
kleinste Spur zu entdecken, indes ich mit den Augen blinzelte, bis mein Blick wieder vollends klar ward. Ebensowenig war von ihren Kleidern zu sehen; meine kleine Teufelswespe hatte wohl beim Morgengrauen davonfliegen müssen, in Meister Recroches Werkstatt ihr Tagewerk zu verrichten. Und doch war ich nicht allein, denn ich erblickte in ebendieser meiner Kammer, mir den Rücken zudrehend und durch das Fenster auf den Garten hinaussehend, einen schwarzgekleideten Kerl, welcher dank seiner Schlankheit und seinem hohen Wuchse eine gar elegante Erscheinung abgab und, die Hüften mit Anmut nach einer Seite geneigt, die linke Hand in die Taille gestemmt, gleich einem Reiher auf einem Bein stand. Meinen Augen nicht trauend und mich am Kopf kratzend, setzte ich mich auf und wollte den Mann schon anfahren, was er hier treibe, als er sich auf meine Bewegungen hin umdrehte und ich voller Erstaunen Fogacer, den Freund meiner Studienjahre zu Montpellier, erkannte.
»Potz Blitz, Fogacer!« schrie ich, erhob mich und stürzte, nackt, wie ich war, zu ihm hin, ihn zu umarmen. »Welch Wunder! Wie zum Teufel habt Ihr mich gefunden?«
Er vermochte nicht gleich zu antworten, überschüttet von meinen Küssen, welche er mit großer Verlegenheit erwiderte, was mich in meinem Innern sehr belustigte. Doch schließlich löste ich meine Umarmung (in der Freude des Wiedersehens hatte ich ihn gar fest an mich gepreßt) und begann ungesäumt, meine Kleider anzulegen.
»Nun ja«, sprach Fogacer, der langsam wieder zu Atem kam und sich von meinem Ungestüm erholte, »ich kenne einenhübschen Kleriker aus Notre-Dame zu Paris, welcher in seinem Fleische mehr zu rühmen ist denn jeder Engel im Himmel …«
Bei welchen Worten er vielsagend lächelte und eine seiner Brauen diabolisch nach oben zog.
»Nur«, erwiderte ich, »daß die Engel ohne Geschlecht sind. Doch saget, Fogacer, fliegt dieser Engel nicht gegen bare Münze bis auf die Türme von Notre-Dame, den Neugierigen die Stadt Paris zu zeigen?«
»Ganz recht, Siorac. Aymotin, um seinen Namen zu nennen, hat mir das Was, das Wie und das Quartier genannt.«
»Und wer hat Euch vom Quartier hierher geführt?«
»Miroul hat es getan. Er ist Euch gestern abend unbemerkt gefolgt, um über Eure Sicherheit zu wachen, und als er von der Baderin erfuhr, daß Ihr die Nacht über bliebet, ist er beruhigt zurückgegangen. Ich habe ihn heute morgen bei Recroche angetroffen.«
»Er ist ein wahrer Engel«, sprach ich, gerührt, daß mein wackerer Diener sich so um mein Leben sorgte.
»Doch dieser Engel behütet Euch schlecht in Euerm schwachen Fleisch«, erwiderte Fogacer, wobei er seine spinnenhaften Arme ausbreitete und sich gleichwohl über sich wie über mich lustig zu machen schien, »denn wenn ich glauben soll, was ich gehört, dann schliefet Ihr hier nicht allein. Hoho, Siorac! In den Badestuben! Wie unvorsichtig! Wisset Ihr nicht, daß zwischen den Badehaus-Dirnen und der Neapolitanischen Krankheit eine natürliche Anziehung besteht?«
»Fogacer«, antwortete ich, gezwungen lächelnd, »der Himmel ist mein Zeuge, daß ich die Badestube so gesund verlasse, wie ich sie betreten.«
»Euer Wort in Gottes Ohr!« sprach Fogacer, welcher weder an Gott noch an den Teufel glaubte.
Es klopfte, und die blonde Babette trat ein.
»Mein edeler Herr«, sprach sie, »die Milchfrau ist eben gekommen. Wünschet Ihr und Euer Freund ein Schälchen Milch, gutes Pariser Weißbrot und frische Butter vom Dorf?«
»Sapperment, Babette!« entgegnete ich, »kein Wort mehr. Das Wasser läuft mir im Munde zusammen. Fogacer, eine Schale Milch?«
»Von Herzen gern, aber gekocht«, antwortete er.
Und indes die blonde Jungfer flink davonging, folgten ihr zwei Augenpaare, das eine begehrlich, das andere kühl.
»Ist diese«, fragte Fogacer mit grenzenloser Verachtung, »eine der Badehaus-Dirnen?«
»Oh, nein!« gab ich zur Antwort. »Sie ist eine Jungfräuliche Jungfrau und will allen verschlossen bleiben bis zu ihrer Heirat. Fogacer, davon versteht Ihr wenig. Im großen Buche der Natur habt Ihr die Seiten der Weiblichkeit übersprungen.«
»Zu meinem Glück!« sprach Fogacer. »Denn ohne meine Neigungen, wie Ihr sie kennt, hätte ich Montpellier, vom Scheiterhaufen bedroht, nicht verlassen müssen. Und wäre ich nicht aus Montpellier geflohen, so hätte ich nicht in diesem Paris Zuflucht gesucht und wäre heute nicht Gehilfe und Assistent des hochgelehrten Doktor Miron, Leibarzt Seiner Königlichen Hoheit, des Herzogs
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