Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Augen. »Der verblichene La Boétie, Montaigne, Ambroise Paré, Ramus, unser armer Meister Rondelet, Pierre de l’Etoile, Michel Servet, welchen Euer Calvin zu Genf verbrannte, Ihr, ich – alles Menschen, die ein wenig Vernunft in das Denken der Leute zu bringen und das Wissen unseres Jahrhunderts zu befördern suchen.
Mi fili
, antwortet mir! Würdet Ihr das Leben eines einzigen Papisten für den Sieg Eurer Kirche opfern wollen?«
»Aber nein!« rief ich, ohne zu zögern, als hätte die Antwort schon lange wohl überlegt und bedacht in mir bereitgelegen.
Worauf Fogacer, mich mit einem mehr freundschaftlichen als hämischen Lächeln auf seinen dünnen Lippen anblickend, mit leiser, fast erstickter Stimme zu mir sprach:
»Ihr seid also weniger gläubig, als Ihr zu sein vermeinet, Siorac, denn Ihr schlaget den Sieg Eures Glaubens um eines einzigen Menschenlebens willen aus.«
»Trotzdem stehe ich zu meinem Glauben!« entgegnete ich, schon ein wenig erschüttert in meiner Gewißheit durch den eben gehörten Gedanken, der zum ersten Male in meinen Verstand eindrang und mich in seiner Neuheit schier überwältigte.
»Ich weiß nicht«, so ließ sich Fogacer wieder vernehmen, »ob Ihr glaubet oder nur glaubt zu glauben. Oder ob Ihr nichteher einer Partei anhängt als einer Religion, nämlich der Partei Eures Vaters, dem Ihr in großer Liebe zugetan seid.«
Auf diese Worte, welche mich betroffen und nachdenklich machten, antwortete ich nicht, denn ich wollte erst in aller Muße darüber nachsinnen – welche Muße ich nie hatte, so wie wir sie alle nie haben, weil das Leben uns beständig treibt und hetzt, vom Bedürfnis zur Begierde, von der Begierde zur Liebe, von der Liebe zum Ehrgeiz, so daß wir schließlich das Ende unseres irdischen Weges erreichen, ohne die quälenden Fragen in uns gelöst zu haben. Und so ist es – Gott sei’s geklagt – auch mir ergangen, der ich heute, da ich diese Zeilen niederschreibe und meine Lebensuhr fast abgelaufen ist, noch ebensoviel Zweifel und Ungewißheit empfinde wie damals im August Anno 1572, als ich mit Fogacer über die Grausamkeit der Religionen disputierte.
»Fogacer«, hub ich nach einer kleinen Weile wieder an, »mein unglückseliges Gnadenersuchen bereitet mir, wie Ihr wißt, höchste Sorge. Vermeinet Ihr, daß ich über Anjou die Königinmutter beeinflussen könnte, auf daß sie den König mir günstig gesinnt mache?«
»Die Königinmutter«, erwiderte Fogacer, »denkt einzig und allein an sich und fürchtet nur um sich. Vergegenwärtigt Euch, Siorac, die Demütigungen, welche sie unter der Herrschaft ihres Gemahls, Heinrichs II., erfahren hat, da sie nicht einmal im königlichen Bett die Erste war. Der König stirbt, sie kleidet sich in Schwarz, welches sie nicht mehr ablegt. Sie reißt auch die Macht an sich und übt unter Franz II. wie unter Karl IX. die Regentschaft aus, indem sie ihre Söhne durch List, Schmeichelei und Tränen beherrscht. Sie regiert aber nicht unumschränkt und nicht gefahrlos, denn auf der Rechten wird sie bedroht von den Guisen und auf der Linken von den Hugenotten. Sie ist ein mutiges Weib, doch in den sechzehn Herrschaftsjahren hat sie nicht aufgehört zu zittern und zittert heute mehr denn je.«
»Aber warum?«
»Aus Furcht, ihre einzige große Liebe zu verlieren: das Zepter. Euer Coligny hat den König mit dem kriegerischen Traum eines Feldzuges nach Flandern betört. Karl IX. will diesen Feldzug, will ihn nicht mehr, will ihn wieder. Und wenn Coligny die Oberhand behält, sieht sich Katharina bereits nach Florenz verbannt. Also hat Katharina, ein Weib von großer List, dochvon geringer Weitsicht, nur den einen Gedanken im Kopf: herrschen. Und nun vermeinet Ihr, daß sie in ihrer heiklen Lage Karl IX. damit belästigen wird, ihm von einem kleinen Hugenotten zu sprechen, welchen zu hassen der König sich in den Kopf gesetzt hat, weil er ihn seinem Bruder ergeben glaubt?«
»Ach, Fogacer!« sprach ich, den Kopf schüttelnd, »ich sehe wohl, daß ich nur ein Staubkörnchen bin in den Stürmen, die über das Königreich Frankreich fegen. Doch nach allem, was ich soeben gehört, ist Coligny in großer Gefahr.«
»Vermeinet Ihr, mein Sohn, er wüßte das nicht?«
Auf den Fersen eine Kehrtwendung vollführend, begann Fogacer, mit seinen langen Beinen einem großen Insekt gleichend, in der Werkstatt herumzulaufen; wie zerstreut blickte er auf den Kamin, dann durch das Fenster und schließlich auf die Stiege, welche in den Oberstock
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