Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
unerwartet erblickte ich dort Fogacer, in Schwarz gekleidet, auf seinen langen Beinen auf und ab schreitend, die langen Arme auf dem Rücken, welcher bei meinem Anblick eine seiner diabolischen Brauen hochzog und mit seinem vieldeutigen Grinsen zu mir sprach:
»Oh! Ihr seid ja recht schnell wieder aus Euerm Kämmerchen herabgestiegen,
mi fili
. Die Delila, welche ich vor mir die Rue de la Ferronnerie entlanggehen sah, hatte also ihre verderblichen Absichten nicht auf Euch, sondern auf Samson gerichtet. Aber wenn ich glauben soll, was ich gehört, dürften auch Euch,
mi fili
, die hohen Damen, welche die Kavaliere um ihr Haar bringen, nicht ganz unbekannt sein. Wie doch die Weiber den Heuschrecken im Kornfeld ähnlich sind!
Causa mali tanti femina sola fuit.
1 «
»Heiliger Himmel!« rief ich, muß man von einer gleich auf alle schließen?
Parcite paucarum diffundere crimen in omnes,
2 sagt Ovid.«
»Was! Ovid? der war ein Weiberheld! Wie kann man ihm dann glauben! Haltet es lieber mit meinem Plautus:
Qui potest mulieres vitare vite.
3 «
»Hoho, Fogacer!« sprach ich lachend, »da antworte ich Euch mit dem gar weisen Seneca:
Multum interest utrum peccare aliquis nolit an nesciat.
4 «
»Ich weiß, ich weiß!« entgegnete Fogacer, »doch ficht mich das wenig an.
Trahit sua quemque voluptas.
5 «
Nachdem wir solcherart mit morgendlicher Höflichkeit unsere lateinischen Sinnsprüche ausgetauscht, umarmten wir uns lachend. So hat jeder Stand seine besondere Sprache: die gelehrten Doctores der Medizin halten es mit dem ciceronischen Latein, indes die Hofkavaliere sich mit leerem Stroh begnügen:
bei meinem Gewissen
und
ich könnte vergehen
, da die Schatzkammern ihres Hirnes weniger gut gefüllt sind.
»Ich sah Euch bei Pfarrer Maillards Predigt«, hub Fogacer wieder an, »prächtig anzuschauen in Euerm perlenbesetzten Wams, doch mit saurer Miene ob all der Aufforderung zum Gemetzel, welchselbige mich hingegen sehr erfreut und bestärkt haben in meiner Philosophie.«
»Was?« rief ich in höchster Verwunderung, »erfreut? bestärkt? Aber sie stehen doch gänzlich im Widerspruch zur Lehre Gottes!«
»Von welchem Eurer Götter sprecht Ihr denn,
mi fili
?« fragte Fogacer, die diabolischen Augenbrauen nach oben gezogen. »Vom Gott des Evangeliums, welcher sanft und gütig ist? Oder von dem des Alten Testamentes?«
»Aber das ist doch derselbe!«
»Oh, nein! Der letztere erschlägt Onan mit einem Blitz, weil Onan seinen Samen auf die Erde vergießt, tilgt Sodom aus, verbrennt die Sodomiter, läßt ich weiß nicht wie viele ehrliche Götzenanbeter von der Hand Israels niedermetzeln und peinigt die Sünder in der Hölle. Ist nicht ganz offenbahrlich, daß dieser grausame, rachsüchtige Gott, weit davon entfernt, uns erschaffen zu haben, vom Menschen nach seinem traurigen Bild geformt ward?«
»Oh, Fogacer!« rief ich. »Ich bitt Euch, schweiget! Sosehr ich Euch liebe, so sehr verabscheue ich Eure gotteslästerlichen Reden!«
»Was! meine gotteslästerlichen Reden? Ich bin doch sanftmütig wie ein Lämmlein! Ich verlange niemandes Tod im Namen irgendeiner Religion, sei sie papistisch oder reformiert, Siorac, habt Ihr Maillard wohl zugehört? Ein Hugenott hat mir hundert Dukaten geliehen. Ich begegne ihm, und er fordert das ihm geschuldete Geld zurück. Ich steche ihn nieder. Mein Dolch wird dann sogleich zum ›heiligsten aller Schwerter‹, und ich bin unversehens vor dem Galgen gerettet, von allen Sünden freigesprochen, und mein Platz im Himmelreich ist mirohne das Fegefeuer sicher. Vermeinet Ihr, Maillard sei der einzige, welcher diese Lehre predigt? An der Stelle des Juden steht heute der Hugenott in der Verabscheuung durch unsere heilige Kirche. ›Tötet sie! Tötet sie!‹ Das wird jeden Sonntag gesagt, gerufen und geschrien in allen Predigten dieses Königreiches, denn die der Euren sind um keinen Deut besser!«
»Die der Meinen!«
»Ja, Siorac! Die Michelade und ich weiß nicht wie viele andere hugenottische Grausamkeiten noch!
Mi fili
, höret wohl: eine jede Religion kann nur tyrannisch sein und in ihren Auswirkungen gewalttätig, sobald sie im Namen einer absoluten Wahrheit zu sprechen vorgibt, denn eine solche kann man nicht anzweifeln, ohne eine kapitale Sünde zu begehen.«
»Ha, Fogacer!« hielt ich ihm entgegen, »Ihr sprecht da von den blinden Eiferern, aber nicht von den guten und aufrichtigen Menschen.«
»Und wer sind diese guten und aufrichtigen Menschen?« fragte Fogacer mit blitzenden
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