Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Pollux, meiner Vergeßlichkeit abhelfen und die Lücken meiner Erinnerung füllen! Oh, mein Gedächtnis hat mehr Löcher denn ein Käse, durch welchen sich die Mäuse gefressen! Das einzige, woran ich mich erinnere«, rief er lachend, auf die andere Seite des Tisches ausweichend, »ist, daß der Türklopfer jenes Hauses den Riesen Atlas darstellt, wie er die Welt auf seinen Schultern trägt.«
»Die Straße, Fogacer, die Straße!«
»Miroul!« rief Fogacer, »sattle die Pferde! Sattle sie in Windeseile, mein Sohn!«
»Die Straße, Fogacer!«
»Die Straße trägt den Namen jener kleinen Bronzefiguren …«
»Die Rue des Marmousets!« rief ich. »In der Stadt? In der Cité? In der Universitätsstadt?«
»In der Cité! Doch wohin laufet Ihr, Siorac?«
»Miroul zu helfen!«
»Ich folge Euch, Siorac!« rief Fogacer und stürzte mir nach.»Ein Pferd! Ein Pferd auch für mich! Bei allen guten Teufeln der undenkbaren Hölle, ich verspüre ein großes Verlangen, Euch den kürzesten Weg in Euer Eden zu weisen, welches Euch um so teurer sein dürfte, da es kein anderes gibt: dafür verwette ich meine sterbliche Seele!«
ACHTES KAPITEL
Sapperment! Welch übergroße Freude verspürte ich in mir, da ich, Fogacer vor mir und Miroul zu meiner Rechten, auf meiner Pompea die Grand’ Rue Saint-Denis hinabritt, in der an jenem Sonntag alle Kaufläden geschlossen waren. Die Notre-Dame-Brücke überquerend, erreichten wir die Cité, und nachdem wir die Rue de la Verrerie hinter uns gelassen, langten wir in der Rue des Marmousets an. Und obgleich wir kaum einer Menschenseele begegneten, da das Volk sich angesichts der Mittagshitze in seine Behausungen zurückgezogen, erschien mir der Weg, gemessen an der Elle meiner übergroßen Ungeduld, endlos lang.
»Fogacer«, rief ich mit fast versagender Stimme, denn das Herz schlug mir wie ein Glockenschwengel in der Brust, »habt Ihr schon das Haus ausgemacht, dessen Tür den besagten Klopfer trägt?«
Er wandte sich um und öffnete den Mund, doch da ich nichts verstand, trieb ich mein Pferd an seine Seite und wiederholte meine Frage.
»Auf dem Wege zu Euch«, antwortete er, »bin ich daran vorbeigegangen. Es ist jenes Haus dort, an dem Ihr eine Reisekutsche und Bediente sehet, welche auf das Dach etliche Koffer und Bündel laden.«
Bei diesem Anblick schwanden mir schier die Sinne in meiner dunklen Vorahnung. Ich saß ab, warf Miroul die Zügel zu und hastete zu dem Haus. Durch die weit geöffnete Haustür gingen geschäftig Bedienstete ein und aus, welche ein Haushofmeister mit pechschwarzen Augen und dunkler Gesichtsfarbe in provenzalischer Mundart befehligte. Ich begab mich ungesäumt zu diesem Mann, welcher mir nicht unbekannt schien, nannte meinen Namen und trug ihm auf, mich seinem Herrn zu melden.
»Ei, Herr von Siorac«, sprach er, »ich erinnere mich Euer noch gut, denn ich sah Euch ein- oder zweimal auf Barbentane in den vergangenen fünf Jahren und weiß wohl, wieviel wirEuch zu verdanken haben, hörte ich doch oft von Madame, daß ohne Euch von unserem Burgsprengel weder Mensch noch Tier und auch kein Stein mehr geblieben wäre. Ich eile, Euch Herrn von Montcalm zu melden.«
»Doch werde ich ihn«, fragte ich höflich, »auch nicht stören, da Ihr doch in der Abreise begriffen seid?«
»Gewiß sind wir das!« erwiderte der Haushofmeister, mit erhobenen Armen hinzufügend: »Und wie froh wir darob sind, weiß nur der Himmel! Denn dieses Paris ist eine erschreckliche Stadt, welche uns gar wenig gefällt, und noch weniger behagen uns ihre hochnäsigen Bewohner. Wir hatten schon in der achten Stunde aufbrechen wollen, doch die Mietkutsche verspätete sich. Auf das Wort dieser nichtswürdigen Halunken ist kein Verlaß. Monsieur de Siorac, geduldet Euch bitte einen Augenblick. Ich melde Euch meinem Herrn.«
›Ach‹, dachte ich bei mir, ›so findest du deine Angelina nur wieder, um sie sogleich von neuem zu verlieren. Und doch darf ich mit meinem Schicksal nicht zu sehr hadern, denn ohne die Nachlässigkeit des Vermieters der Kutsche hätte ich sie überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.‹ Indes ich solchen Gedanken nachhing, die mir nur wenig Trost zu bringen vermochten, kam der Haushofmeister zurück (eine Spur weniger freundlich, wie mich deuchte) und bedeutete mir höflichen Tones, doch gesenkten Blickes, ihm zu folgen, worauf er mich in ein kleines Gemach führte, in dem er mich nach einer recht zurückhaltenden Verbeugung mit meiner dunklen Vorahnung allein
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