Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
schien, daß ich über alle Maßen lachen mußte, nicht ohne im Herzen gerührt zu sein von der großen Zuneigung, welche Alizon für mich empfand, und davon, daß sie mir diese so offen gestand.
Nachdem Alizon mit mir gelacht, legte sie ihr so liebliches Gesicht an meine Schulter und meinen Hals (wo ich ihren Atem verspürte), und ich dachte schon, daß sie nach des Tages Mühen in Meister Recroches Werkstatt sogleich einschlafen würde, doch sie sprach:
»Welch schöne Medaille Ihr da habt! Von Gold, und so fein gearbeitet, und noch dazu aus alter Zeit!«
»Sie stammt von meiner Mutter, welche sie mir auf dem Sterbebett gab mit der Bitte, sie auf immer zu tragen.«
»Oh, Herr!« hub sie wieder an, »wie froh bin ich über Eure Frömmigkeit! Und auch, daß ich Euch in Euerm perlenbesetzten Wams bei der Predigt des guten Pfarrers Maillard gesehen, denn dieser Geizkragen von Recroche, der Euch wenig leiden mag, hat zu Baragran und mir gesagt, er hielte Euch und Euern hübschen Bruder für verkappte Ketzer.«
»Hoho, Alizon!« sprach ich und versuchte zu lachen, »wür dest du mich etwa weniger lieben, so ich ein Hugenott wäre?«
»Oh, Herr!« sprach sie, von Abscheu geschüttelt, »wenn dem so wäre, dann würde ich Euch nicht einmal mit den Fingerspitzen berühren wollen und empfände mehr Ekel und Widerwillen vor Euch denn vor einem Aussätzigen, so sehr hasse ich diese Ausgeburten der Hölle!«
Da ich diese Worte vernahm, war ich sehr froh, daß Alizon mit dem Gesicht auf meiner Schulter lag und also das meinigenicht sehen konnte, welches sich zu einer schmerzlichen Grimasse verzog, indes es mir im Herzen weh tat, plötzlich so gehaßt zu werden.
»Verabscheust du sie denn so sehr, Alizon?« sprach ich, als ich wieder Herr meiner Stimme war.
»Ich halte sie«, erwiderte sie haßerfüllt, »für die schlimmsten Unholde der Schöpfung, welche die allergrausamsten Strafen verdienen und dann zur Hölle fahren sollen, auf daß sie dort in Ewigkeit braten.«
»Was?« sprach ich, höchstlich erstaunt, »so groß ist dein Haß? Was haben sie dir nur angetan? Sind sie nicht auch Menschen wie alle anderen?«
»Was sie mir angetan haben?« fauchte Alizon in übergroßem Zorn, so daß ihr kleiner Leib zitterte. »Sie wollen uns unsere Heiligen nehmen!«
»Die Heiligen nehmen?« fragte ich. »Aber selbst in der katholischen Kirche vermeint doch mancher, daß es zu viele davon gibt.«
»Oh, Herr!« rief sie, »glaubet mir, Heilige kann es gar nicht genug geben!«
»Aber weshalb nur?« fragte ich verwundert.
»Weil ein jeder von ihnen uns einen Feiertag beschert, so daß die guten Heiligen (welche der liebe Gott und die Heilige Jungfrau in ihrer Güte segnen mögen!) uns fünfundfünfzigmal im Jahre von unserer so schweren Arbeit erlösen, was die Zahl der Sonntage im Monat verdoppelt. In diesem August sind es drei (nicht gerechnet Mariä Himmelfahrt): Sankt Laurentius, Petri Kettenfeier und Sankt Bartholomäus. Unglücklicherweise fällt Sankt Bartholomäus auf einen Sonntag.«
»Wodurch du Arme einen freien Tag weniger hast.«
»Keineswegs«, erwiderte sie, »es ist Brauch, daß dann am Tag zuvor nur bis zur Mittagsstunde gearbeitet wird. Und dieser Brauch, welchen unsere Pfarrer gar sehr befürworten, ist so unumstößlich, daß selbst Meister Recroche nicht zuwiderzuhandeln wagt.«
Nach diesen Worten verstummte sie und sank, ermüdet von dem langen Arbeitstag, den Stürmen der Leidenschaft und dem Zorn, der sie gepackt hatte, in einen sanften Schlaf, den Kopf wie ein Kind an meine Schulter geschmiegt. Ihre Worte hatten mich zuerst etwas aufgebracht; schließlich aber vermeinte ich,daß ich, wenn es mein Schicksal gewesen wäre, in so niederem Stande geboren zu sein, wohl nicht anders denken würde als sie, die vierzehn Stunden Arbeit am Tage, nicht eingerechnet so manche Nacht, gar hart drückten. Und ich überlegte mir, daß die papistische Kirche, so tyrannisch und grausam sie ihre Macht ausübt und so nachsichtig sie sich gegenüber dem Aberglauben des Volkes zeigt, den Bedürfnissen der Armen vielleicht besser genügt als die unsere, indem sie ihnen durch die Feste ihrer vielen Heiligen die Lustbarkeiten und zugleich die Atempausen verschafft, ohne die ihr Leben nur ein ununterbrochener Leidensweg wäre. So daß man verstehen konnte, warum das einfache Volk von Paris, freilich aufgeputscht von den blutrünstigen Predigten der eifernden Pfaffen, die Hugenotten so abgrundtief haßte: deren Sieg hätte
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