Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
möge die Menschen, die wir lieben, verschonen: den Doctor d’Ássas wie meinen Oheim Sauveterre und insonderheit meinen Vater, der mit seinen mehr als fünfzig Jahren noch munter und gesund war, an den ich indes nicht denken konnte ohne Furcht vor dem Tage, da er aus dieser Welt scheiden würde und ich seiner Gegenwart beraubt wäre.
Von solcherart Gedanken über unser gar kurzes Leben heftig geplagt, verordnete ich mir eine geistige Arzenei, die bei mir nie verfehlte, ihre heilende Wirkung zumindest für eine gewisse Zeit zu tun, und die darin bestand, an all die hübschen Frauenzimmer zu denken, welche mir ihre Gunst erwiesen, an ihre liebevollen Augen, die in meiner Erinnerung noch verlangender schimmerten, und an ihre süßen Körper. Ich fand alsbald wunderbare Tröstung und fühlte, befreit von Kummer und Traurigkeit, den Schlaf kommen und mit ihm einen wunderbaren Traum. Mir träumte – die zartfühlenden Damen unter meinen Lesern, welche mich gern heiliger sähen, als ich bin, oder zumindest enthaltsam bis zur Ehe (was für einen unvermögenden Zweitgeborenen, der zudem noch Hugenott ist, gar große Pein und Mühsal bedeutet), mögen mir verzeihen –, mir träumte also, daß meine kleine Teufelswespe, schlank und dabei wohlgerundet, sich hüllenlos in meine Arme schmiegte, so warm und sanft und wohlriechend, daß mir das Herz vor unendlicher Freude schlug und meine Sinne ganz erfüllt und entzückt davon waren. Oh, gewiß! im wachen Zustand hätte ich (obzwar ich nicht weiß, ob ich es gewollt) diese Bilder weitvon mir weisen können, die von Gott und zugleich vom Teufel herrühren: von Gott um des Wachsens und Mehrens des Menschengeschlechtes willen, vom Teufel wegen des verbotenen Gebrauches, den wir zuweilen davon machen. Doch der Schlaf hat das Gute, daß wir darin sündigen dürfen ohne Sünde, denn unser Wille hat keinen Anteil an den Gedankenbildern und Gefühlsregungen, welche die animalischen Geister ohne unser Zutun in uns erwecken.
Nachdem ich so lange keusch und züchtig gewesen (nicht aus Tugendhaftigkeit, sondern wegen der unzähligen Mißgeschicke, welche mir in Paris begegnet), verspürte ich höchste Wonne, den Leib meiner kleinen Teufelswespe in ganzer Länge an meinen Leib zu drücken, welche Wonne sich dadurch immer mehr steigerte, so daß ich schließlich aus dem Schlaf erwachte. Die Augen öffnend und verwundert in das Licht der einzigen Kerze in meinem Kämmerlein blinzelnd wie Adam in die erste Morgenröte, sah ich, daß ich kein Traumbild, sondern die leibhaftige Alizon nackt und hüllenlos in den Armen hielt, was mich mit unsäglicher Freude erfüllte. Als dann die Stürme der Leidenschaft verebbten, fühlte ich eine Lebenslust und -freude, wie ich sie, seit ich Mespech verlassen, nicht mehr in mir verspürt, was bewies, daß meine medizinische Erfahrung sich nicht lange gut vertragen würde mit meinem so strengen Gottesglauben, welcher von Calvin herstammte.
»Oh, Herr«, sprach Alizon, sobald wir der Sprache wieder mächtig, »als ich hier eintrat, sah ich Euch in so tiefem Schlafe liegen und mit einem so verzückten Lächeln auf den Lippen, daß mir der Gedanke kam, mich zu Euch zu legen, auf daß Ihr mich, ohne aufzuwachen, für einen Traum nehmen möget. Mich deucht, dies ist mir nicht gelungen.«
»O doch, feins Lieb!« erwiderte ich, sie an mich pressend, »ich träumte nämlich just von dir.«
»Hoho, Monsieur! Ihr wollt mich foppen! Würdet Ihr das bei der Heiligen Jungfrau schwören, von der Ihr eine so schöne Medaille um den Hals traget?«
»Gewißlich«, antwortete ich, zufrieden, ohne Sünde schwören zu können, da Maria für mich nicht die Heilige war, zu der die Papisten sie erhoben.
»Ach Herr!« sprach meine kleine Teufelswespe mit glänzenden Augen, »wie freut es mich, dies zu hören, denn ich warin großem Zweifel, ob Ihr mich ebenso begehrtet wie ich Euch, aus welchem Grunde ich mich, da ich Euch nackt und schlafend auf Euerm Lager sah, sogleich meiner Kleider entledigte und mich zu Euch legte, damit Ihr, gleichsam im Schlafe überrascht, mir endlich Eure Gunst bezeigtet.«
»Alizon«, sprach ich, aus vollem Halse lachend, »ist es zu Paris etwa die Mode, daß die Weiber die Männer nötigen?«
»Nun, Herr«, erwiderte sie mit einem Lächeln, aus dem ihre unbefangene Natürlichkeit sprach, »ich hätte es schon bei unserer ersten Begegnung getan, wenn ich reich genug gewesen wäre.«
Welche Antwort mir in ihrer Keckheit so typisch pariserisch
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