Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Sankt-Michaels-Brücke wollt«, unterbrach er meine Dankesworte mit leiser Stimme, »wird man dort einen Passierschein von Euch verlangen. Versucht es kurz vor dem Morgengrauen, dann ist die Aufmerksamkeit der Wache am geringsten. Und seid Ihr dann im Universitätsviertel, wählet das Buccy-Tor, um die Stadt zu verlassen; dort läßt man die Dorfleute herein, welche den Markt versorgen, so daß auf der Zugbrücke immer großes Gedränge herrscht.«
Der Anschreiber ließ es sich nicht nehmen, uns vor sein Haus zu begleiten, und selbst nach dem Abschied blieb er noch eine Zeit mit seiner Laterne in der Hand stehen, als wolle er uns leuchten. Ehe wir uns nach rechts wandten, wie er geraten, warf ich einen letzten Blick auf seine Laterne; die schwache kleine Flamme in der Finsternis der Stadt stärkte mir den Mut ebenso wie die Hochherzigkeit ihres Trägers. Wir bogen um die Straßenecke, und das Licht verschwand, nicht aber die Hoffnung, die es in mir entzündet hatte. ›Dieser barmherzige Mensch‹, so dachte ich bei mir, ›hat den rechten Glauben! Einen anderen gibt es nicht. Möge es Gott gefallen, daß eines Tages alle Bewohner dieses Jammertales wie dieser einfache Mann begreifen, daß Glaubenseifer ohne Menschenliebe nur Verfall und Verderb der Seele bedeutet!‹
Wir folgten der Rue de la Calandre bis zur Rue de la Barillerie, und dort schickte ich meinen wackeren Miroul aus, auf daß er die Sankt-Michaels-Brücke erkunde, wie er das schon bei der Wechsler-Brücke getan. Er verschwand in der Dunkelheit wie eine Schlange im Gesträuch und tauchte ebenso unversehens wieder neben mir auf.
»Moussu«, vermeldete er mir, »auf der Brücke hat es ein halbes Dutzend Pariser Bürger, welche sich tüchtig die Nasen begießen. Es wäre ein Kinderspiel, sie zu überwältigen.«
»Gemach, gemach!« sagte Giacomi. »Haben sie Feuerrohre bei sich?«
»Zwei.«
»Das sind zwei zuviel«, sprach Giacomi. »Wir wollen unser Leben nicht aufs Spiel setzen. Zumal auch die vielen Bewaffneten, welche wir am Palais sahen, auf das Büchsengeknall hin herbeieilen könnten, denn die Nacht ist jetzt sehr still.«
»Er hat recht. Herrgott, wie ruhig es jetzt ist!« sprach da Fröhlich.
»Nun, mein lieber Schweizer«, sagte Miroul, »auch Henker müssen schlafen!«
»Dein Rat ist weise, Giacomi«, sprach ich schließlich, nachdem ich seine klugen Worte erwogen. »Wir wollen warten, bis diese Helden ihr bißchen Verstand gänzlich im Weine ertränkt haben.«
Wir ließen uns also im Schutze eines Erkers auf eine steinerne Bank nieder, darauf wir, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt, schweigend verharrten, ohne ein lebendes Wesen zu Gesicht zu bekommen, außer einem dünnleibigen Hund, welcher um einen Leichnam herumschlich, den die Metzler in der Gosse hatten liegenlassen. Die Nacht war so schwarz, daß wir die Leiche zuerst gar nicht sahen, sondern nur den Hund mit seinem weißen Fell. Doch mit der Zeit gewöhnte sich das Auge an die Dunkelheit, und wir bemerkten den armen Märtyrer, so daß Miroul aufstand, das Tier zu verscheuchen, welches ihm die Zähne zeigte, denn es war wohl selbst am Verhungern.
Wir beschlossen, uns ein Stück weiter entfernt niederzulassen, doch auch dort fanden wir etliche Leichen, welche in der Augusthitze schon zu riechen anfingen, so daß wir zu unserer steinernen Bank zurückkehrten, gefolgt von dem Hund, welcher sich mit eingeklemmtem Schwanze wieder über den Toten hermachte, schauerlich heulend. Miroul wollte ihn noch zweimal verjagen, doch vergebens. Man hätte ihn umbringen müssen, wozu es keinen von uns gelüstete, denn das Tier erschien uns weniger roh und grausam als diejenigen, welche uns verfolgten.
Als schließlich der Morgen zu grauen begann, entschlossen wir uns, das Überqueren der Brücke zu wagen. Unsere Degenzwischen Arm und Körper gepreßt, Fröhlich mit seiner Keule in der Hand, schritten wir vier nebeneinander vorwärts, alle Sinne gespannt und Augen und Ohren weit offen.
Nachdem wir die Sperrketten hinter uns gelassen, gewahrten wir in der Mitte der Brücke eine Laterne, in deren Schein die Wachen Karten spielten und sich gegenseitig ihren Beuteanteil abluchsten, was unter gar großem Gezänk und Gelärme auf Seiten der Spieler wie der Zuschauer geschah, denn alle waren voll des Weines und schwankten gewaltig; nur einer, weniger trunken als die anderen, besann sich, uns mit gezogener Pistole den Weg zu versperren, und rief »Wer da?«
»Gute Katholiken aus dem
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