Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
der Waffelbäcker, darauf achtend, daß er von dem Frauenzimmer nicht gehört werde, denn er fürchtete wohl, daß dann all die scharfzüngigen Weiber der Straße über ihn herfallen würden. »Seht her!« fuhr er fort, »die vier hier sind gerade richtig: knusprig und goldgelb. Ihr brauchet nur das Geld herzureichen, und schon könnt Ihr Euch daran laben!«
Ich zahlte mit einigen Silbermünzen, denn ich wollte nicht, daß der Kerl meine Dukaten sähe.
»Bäcker«, sprach da Miroul, den ersten Bissen im Mund, »du hast das Salz vergessen.«
Auf diese Vorhaltung hin tat der Waffelbäcker, als nähme er eine Prise Salz aus einem Gefäß und streue sie über unsere Waffeln.
»Commediante«, stieß Giacomi zwischen den Zähnen hervor. »Von Bratenduft allein wird keiner satt! Dein Salz ist noch im Meer!«
In diesem Augenblick näherte sich ein Straßenhändler, klein von Wuchs und von gemeinem Angesicht, welcher Malvesier feilbot. Er trug eine Art hölzernes Joch auf den Schultern, an dessen Enden Krüge hingen, und pries mit rauher und brüchiger Stimme sein Getränk an:
Kommt, trinket den Malvesierwein,
der Griechen edlen Traubensaft.
Er lindert durst’ger Kehlen Pein,
verleihet allen Männern Kraft.
»Heda, Gevatter«, rief der Waffelbäcker, »schenk mir einen Morgentrunk ein. Das viele Blut hat mich ganz durstig gemacht, und ich habe mit trockener Kehle geschlafen.«
»Heda, Gevatter! Habt Ihr gestern wacker mit Hand angelegt wie alle guten Christen?«
»Ich habe mein Teil beigetragen«, antwortete der Bäcker, die Augen scheinheilig gesenkt.
»Was mich betrifft«, fuhr der andere fort, »so habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie der Buchbinder Spire Niquet, welcher die Genfer Bibeln einbindet, bei lebendigem Leibe ins Feuer gesetzt ward. Mitten auf der Rue Judas zündete die Menge einen Bibelhaufen an und setzte den Niquet obendrauf, den sie mit Spießen festhielten, während er briet. Ihr hättet ihn schreien hören können von Notre-Dame bis zum Louvre!«
»Nicht schlecht!« erwiderte der Waffelbäcker. »Und ist er auf seinem Scheiterhaufen zu Tode gekommen?«
»Nein, nein! Als er halb tot war, warf man ihn ins Wasser, damit er auch von dieser Marter kosten könne!«
Worauf die beiden Kerle sich den Buckel voll lachten und wir nur froh waren, die Waffeln im Munde zu haben, damit wir ihn nicht zu öffnen brauchten.
»Ich für meinen Teil«, hub der Waffelbäcker wieder an, welcher im Erzählen von Heldentaten dem Weinverkäufer nicht nachstehen wollte, »war gestern auf der Notre-Dame-Brücke, als die Menge das Perlenhaus erstürmte, welches Meister Mathieu gehört, dem Vergolder und heimlichen Anhänger von Genf. Hei, war das ein Vergnügen! Männer, Weiber, Kinder, Mägde – alles wurde niedergestochen und aus dem Fenster in die Seine geworfen. Wie bequem, als Ketzer auf einer Brücke zu wohnen!«
Der Malvesier-Verkäufer lachte sich kugelig über diesen erbaulichen Bericht; dann bot er uns von seinem Weine, doch obgleich wir nach einem Trunke lechzten, lehnten wir ab, solchen Abscheu hatte der Kerl in uns erregt, und er zog weiter, nachdem der Waffelbäcker ihm eine Münze zugeworfen.
Indes die jüngeren Hausfrauen ihre Einkäufe besorgten, setzten die Alten, die Schönheit des Morgens genießend, ihr munteres Geschwätz von Fenster zu Fenster fort.
»Crestine«, rief eine mit gelblichen Hängebacken und Doppelkinn, »hast du schon von dem Wunder gehört?«
»Was für ein Wunder?« fragte Crestine von der anderen Straßenseite neugierig zurück. »Wo und wann ist es geschehen, Gevatterin?«
»Das weißt du nicht, Crestine? In ganz Paris spricht man von nichts anderem als dem Rotdornbusch auf dem Friedhof der Unschuldigen Kindlein, welcher gestern neue Blüten bekommen hat.«
»Heilige Jungfrau!« rief Crestine, »ein Rotdorn, welcher im August blüht! Das ist tatsächlich ein Wunder!«
»Gott im Himmel!« ließ sich eine verhutzelte Alte vernehmen, die ihren Senf dazugeben wollte, obgleich sie Mühe mit dem Sprechen hatte, denn ihr fehlten die vorderen Zähne. »Du hast nichts gehört, Crestine? Wo doch überall die Rede von dem Wunder geht? Und so viel Volk läuft zu dem Gottesacker, daß die Priester schon Wächter aufgestellt haben, damit keiner dem Wunderbaum zu nahe komme und etwa Schaden zufüge.«
»Ich litt gestern an meinen Vapeurs«, erwiderte Crestine, ganz beschämt über ihre Unwissenheit.
»Heilige Jungfrau!« rief die Zahnlose wieder. »Ein Rotdorn, der im August
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