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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Schlachterviertel, Gevatter«, sagte ich.
    »Schurke, ich bin niemandes Gevatter! Deinen Passierschein, aber hurtig!«
    »Hier ist er«, sprach ich, in meinem Säckel suchend, und drückte ihm einen Dukaten in die Hand.
    »Was ist das?« schrie er, als hätte er sich an dem Geldstück verbrannt. »Zum Teufel! Will man mich kaufen?«
    Und gewißlich nicht, weil er so lauteren Sinnes war, sondern weil es ihn nach meinem Säckel gelüstete, hielt er mir sogleich die Pistole vor den Bauch. Mehr konnte er nicht tun, denn Miroul hatte ihm im Handumdrehen den Arm nach oben geschlagen und ihn mit einer blitzschnellen Beinbewegung zu Fall gebracht. Zu allem Unglück ging bei seinem Sturze die Pistole los, zwar ohne jemanden zu treffen, doch fuhr bei dem Knall der Haufe der weinseligen Wachen auseinander, und sie rannten auf uns los, schrien immerfort: »Zu den Waffen!« und »Auf die Ketzer!« und feuerten zwei Arkebusenschüsse ab, die sich in den Lüften verloren.
    Wir liefen davon, übersprangen die Sperrketten am anderen Ende der Brücke und stürzten linker Hand in ein Gewirr kleiner Gassen hinein, in unserem rasenden Lauf erst innehaltend, als wir ganz außer Atem waren. Doch da war hinter uns nicht mehr der geringste Lärm zu vernehmen: unsere Helden waren zu ihren Karten und Weinflaschen zurückgekehrt, welche wohl aus einem geplünderten Keller stammten.
    Wir befanden uns in der Rue de la Parcheminerie, welche in gleicher Richtung wie die Rue Saint-Séverin und die Rue de la Huchette verläuft, und da der Tag gerade anbrach, beleuchtetedie Sonne die Dachtürmchen, Giebel und Spitzdächer des Viertels, was einen hübschen und gefälligen Anblick abgegeben hätte, wären da nicht im Schatten der Gäßchen viele aufgebrochene Läden und Häuser, eingeschlagene Fenster, schief in ihren Angeln hängende Türen zu sehen gewesen, das Pflaster nicht überall mit Kleiderfetzen, offenen Truhen, abgerissenen Wandbehängen übersät, dazwischen hier und da ein nackter Leichnam, Mann oder Weib, an dem abgemagerte Hunde oder Horden von frechen Ratten schnüffelten. Doch ungerührt von diesem schauerlichen Schauspiel, begannen plötzlich hoch oben, als sei nichts geschehen, die Kirchenglocken zur Frühmesse zu läuten.
    Miroul, der in diesem Viertel genau Bescheid wußte (denn er hatte die Stadt gar oft durchstreift, derweil ich mich im Louvre verlustierte), erkannte sie alle an ihrem Klang und zählte mir die Kirchen auf. Saint-Etienne des Grez, die Jakobiner-Kirche, Saint-Séverin, die Karmeliter-Kirche, Saint-Blaise, Saint-Jean de Beauvais und Saint-Julien-le-Pauvre. Oh! wie herrlich wäre ihr Geläut an diesem blauen, klaren Augustmorgen gewesen, hätten die Glocken zur Versöhnung gerufen und nicht im Namen eines angeblichen Gotteswunders, von dem ich noch berichten werde, zur Fortsetzung des Blutbades.
    Wir verweilten einige Zeit, ganz außer Atem, schwitzend, durstig, trotz unserer Verzweiflung erneut vom Hunger geplagt, denn der karge Imbiß bei dem Markierer war nur noch Erinnerung. Schon begannen sich die Hausfrauen zu rühren: die Jüngeren verließen die Häuser, ihre Einkäufe zu machen, indes die Älteren ihre Fenster den ersten Sonnenstrahlen öffneten und mit den Nachbarinnen von Fenster zu Fenster die Neuigkeiten des Tages austauschten, in den sie heiter und unbeschwert hinausblickten, obgleich er für uns so traurig und unheilvoll war.
    Wenige Schritte von uns entfernt öffnete ein Waffelbäcker seine Bude. Nachdem er Feuer entfacht und den Teig bereitet, nahmen alsbald die ersten Waffeln in den Eisen eine goldbraune Färbung an, so daß uns das Wasser im Munde zusammenlief und wir eiligst näher traten, angezogen wie die Eisenspäne vom Magneten.
    »Nur herbei, ihr Leute!« sprach der Kerl, dessen schmales, heuchlerisches Gesicht mir wenig gefiel, »frische Waffeln gefällig?«
    »Ja, gewiß.«
    »Zwei Sols das Stück!«
    »Hoho, Gevatter!« sagte ich, »Sankt Bartholomäus hat deine Preise aber gehörig steigen lassen!«
    »Das Mehl wird teuer«, entgegnete der Bäcker, »denn die Stadttore sind geschlossen.«
    »Bei Gott, das ist nicht wahr!« rief eine Hausfrau, welche mit einem Korb am Arm vom Einkaufen zurückkam. »Das Buccy-Tor ist nicht geschlossen, alter Gauner! Heute morgen können die Landleute ungehindert in die Stadt, und auf dem Markt fehlt keines der Weiber, die dort gewöhnlich Eier, Milch und Gemüse feilbieten.«
    »Nun seht nur dieses dumme Huhn, das lauter krähen will als der Hahn!« sprach

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