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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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blüht! Unser lieber Pfarrer von Saint-Séverin hat gesagt, Gott wolle uns damit bedeuten, daß die Kirche vermöge des Todes der Ketzer wieder zu neuer Blüte kommt.«
    »Bei Gott, so muß es sein!« setzte die Alte mit den Hängebacken hinzu. »Und es beweist, daß noch nicht genug Ketzer umgebracht sind. Habt ihr gehört, ihr jungen Kerle?« rief sie uns zu, denn sie sah uns wegen der weißen Ärmel als Metzler an.
    »Wirst du hingehen zum Friedhof der Unschuldigen Kindlein, Crestine?« fragte die Zahnlose.
    »Oh, ich weiß nicht!« erwiderte Crestine, »mein linkes Bein schwillt mir beim Laufen immer an.«
    »Aber es wird dort ein schönes Fest geben«, fuhr die Zahnlose sabbernd und zischelnd fort. »Heute morgen versammeln sich alle geistlichen Brüderschaften mit Kreuzen und Fahnen und singen das Gloria.«
    Auf meine Bitte hatte der Waffelbäcker sich wieder ans Werk gemacht, weil die eine Waffel uns noch nicht den Magen füllte. Indes wir ihm den Rücken zukehrten, da uns sein Gesicht unerträglich war, hörten wir das Geschwätz der alten Weiber und blickten uns schweigend an: wir kannten gar wohl den Rotdornstrauch auf dem Friedhof, denn wir hatten ihn tagtäglichvom Fenster unserer Kämmerleinchen in der Rue de la Ferronnerie gesehen. Und so wußten wir genau, daß sich am vorgestrigen Tage noch keine einzige Blüte oder Knospe an seinen Zweigen gezeigt hatte. Wenn nun heute solche zu sehen waren, ohne daß einer sie von nahem anschauen durfte (denn die Wachen ließen das Volk nicht an den Baum heran), so mußte sie jemand an den Zweigen angebracht haben – mit welchen Tricks, das weiß nur Gott (in dessen Namen der Mensch so oft spricht), und vielleicht wissen es auch die listigen Geistlichen der Gemeinde der Unschuldigen Kindlein (welch passender Name!), der dieses Wunder großen Nutzen und Vorteil eintrug, nicht nur im Jahre 1572, sondern noch bis zum Ende des Jahrhunderts.
    Indes wir also das törichte Geschwätz der alten Weiber hörten, kam unversehens eine schwarzgekleidete Betschwester die Rue de la Parcheminerie entlang, welche die Aufmerksamkeit auf sich zog, denn sie war gar schön von Angesicht und die Formen ihre Leibes waren üppiger als sonst bei Frauenzimmern dieses Standes. Zudem lief sie mit großen Schritten und blickte mit traurigen, erschreckten Augen. Ihre Füße steckten in karmesinroten Pantoffeln.
    Eine große Stille breitete sich in der Straße aus, welche unversehens von der kreischenden Stimme der Alten mit den Hängebacken unterbrochen ward.
    »Seht nur!« schrie sie aus vollem Halse, »seht nur ihre roten Schuhe! Sie ist eine falsche Nonne! Eine Genfer Schlange auf der Flucht! In gotteslästerlicher Verkleidung!«
    Worauf die Unglückliche in der Tat zu rennen anfing, so daß die Alte nun doppelt so laut kreischte:
    »Zu den Waffen! Auf die Ketzerin! Auf die Ketzerin!«
    Und sich weit aus dem Fenster beugend, schrie sie, daß ihr schier die Lunge platzte:
    »Heda, ihr jungen Kerle! (Welche Worte an uns gerichtet waren.) Hinter den roten Pantoffeln her! Tötet sie!«
    »Moussu«, flüsterte Monsieur mir in okzitanischer Sprache ins Ohr, »ich wüßte schon, wen ich gern umbringen würde.«
    »Schweig still!« erwiderte ich, und da Fröhlich ebenfalls seinen breiten Mund auftat, legte ich die Hand auf die seine, welche sich um den Griff der Keule krampfte, und sprach leise: »Vergiß nicht, Gesell, daß du stumm bist wie ein Karpfen!«
    »Was zögert ihr noch, ihr Kerle!« schrie die zahnlose Alte. »Wollt ihr die Schlange entkommen lassen? Ihr nach, zum Teufel! Macht sie nieder!«
    »Gevatterin«, erwiderte ich ruhig, »alles zu seiner Zeit, das Metzeln wie das Essen. In ihrer Aufmachung wird die Schlange nicht weit kommen!« 1
    »Faule Ausreden! Zu wenig Eifer für die heilige Sache!« geiferte die Alte erbost und mit höchst mißtrauischer Miene. »Weiß ich denn, ob nicht auch eure Armbinden falsch sind?«
    »Alte Schwätzerin!« sagte ich lachend, »komm runter und halt deine Tropfnase an unsere Degen: wirst sehen, wonach sie riechen!«
    »Bei Gott!« ließ sich die Zahnlose vernehmen, »da hat er recht! Man sagt doch immer, das Blut der Ketzer stinkt wie der Eiter einer Pestbeule, so verdorben sind sie inwendig.«
    Erstaunt ob soviel medizinwissenschaftlicher Torheit, nahm ich den Beistand, der mir dadurch erwuchs, gern an, denn die Alte mit den Hängebacken wollte nicht widersprechen und wagte nicht, uns noch mehr am Zeug zu flicken, alldieweil wir recht jugendstark und

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