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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Knien um Gnade für sein Leben bettelte, denn – so sagte er – seine Beute sei nur kläglich, alles von Wert hätten schon bedeutendere Leute weggeschnappt, nämlich erstlich die Bewohner des Schlachterviertels und sodann die Brückenwache.
    »Geselle«, sprach ich zu dem armseligen Kerl, mit dessen Elend ich einiges Mitleid empfand, »wir wollen weder dein Leben noch deinen Sack. Doch wie kommt es, daß auf der Wechsler-Brücke so viele Häuser ausgeplündert sind? Mir ist nie zu Ohren gekommen, daß hier Ketzer wohnten.«
    »Bei den Hörnern des Teufels, Ketzer gab es hier keine«, erwiderte der Kerl, »aber Goldschmiede, die sehr reich waren, aus welchem Grunde man sie kurzerhand zu Ketzern erklärte, umbrachte und in die Seine warf, um ihr Hab und Gut zu plündern.«
    »Und die Wache?«
    »Die Wache«, sprach er mit einem Lächeln, »ist nicht sonderlich erpicht darauf, für Ordnung zu sorgen, denn auch ihr steht der Sinn nach Beute.«
    Hierauf setzte ich meinen Weg fort, schon ungeduldig am Arm gezogen von Miroul, welcher sich besorgte, daß ich so lange verweilte, wie ich es oft – selbst in gefährlicher Lage – zu tun pflege, so sehr ist die Neugier auf den Menschen Teil meines Wesens.
    Vom anderen Ende der Wechsler-Brücke führt der kürzeste Weg zur Sankt-Michaels-Brücke durch die Rue de la Barillerie, und diesen Weg wollten wir gerade einschlagen, als wir in der Ferne, vor dem Palais, Fackeln und Laternen durch die Nacht leuchten sahen und das Geklirr aneinanderstoßender Partisanen vernahmen, woraus wir mutmaßten, daß sich dort in größerer Anzahl königliche Schützen oder Soldaten der Stadtwache befänden. Um nicht geradewegs in deren Piken zu rennen,wandten wir uns nach links in die Rue de la Vieille Pelleterie, welche so dunkel, stinkend und kotig ist wie sonst keine in der ganzen Cité, und verloren uns in einem Gewirr von Gassen und Gäßchen, darunter nicht wenige Sackgassen waren, so daß wir unsere Schritte mehr als einmal zurücklenken mußten, wobei man in der Dunkelheit keine weiße Katze hätte erkennen können: der Schlamm und Unrat in den Gassen erschwerte unseren Lauf, und ab und an stießen wir mit dem Fuß an einen Leichnam, welcher noch von der vorangegangenen Nacht hier lag, da die Meuchler sich nicht die Mühe hatten machen wollen, ihn zum Seine-Fluß zu schleifen.
    Wir irrten eine schier endlose Zeit durch diese engen Gassen, darinnen wir uns nur beschmutzten und im Kreise liefen wie die Ratten im Käfig. Als wir endlich herausgefunden, plagten uns Müdigkeit, Hunger, Durst und auch die Verzweiflung so sehr, daß wir auf eine steinerne Bank niedersanken, welche vor einem ärmlichen Hause stand, und dort stumm sitzen blieben.
    Es war nicht soviel Büchsengeknall zu hören wie in der vergangenen Nacht, denn die Mehrzahl der Unseren war bereits gemetzelt und der Rest gleich uns auf der Flucht oder irgendwo verborgen. Die Straße, darinnen wir uns befanden (und welche sich, wie ich später herausfand, Rue de la Licorne nannte), schien wie ausgestorben, an allen Häusern waren die Türen und Fenster verschlossen und die Läden vorgelegt, so daß wir überrascht waren, nach einigen Minuten eine Laterne auf uns zukommen zu sehen, welche uns in der Finsternis gar hell zu leuchten schien, ohne uns indes zu beunruhigen oder nach den Waffen greifen zu lassen, denn es waren auf dem Straßenpflaster nur die Schritte eines einzigen Menschen zu hören. Was uns jedoch verwunderte: sie waren dreifach, gleichsam als benütze einer drei Beine zum Laufen, davon ein jedes beim Aufsetzen ein anderes Geräusch verursachte. Und wiewohl es von den papistischen Heiligen heißt, sie vollbrächten zu Paris gar manches Wunder, hatte ich in bezug auf dieses hier meine Zweifel und ward alsbald auch aufgeklärt: als die Laterne nahe genug herangekommen, gewahrten wir einen alten Mann, welcher auf einem Holzbein humpelte und sich dabei auf eine Hellebarde stützte; trotz seines Alters war er noch gut bei Kräften, das Gesicht wettergegerbt und voller Wundmale, auf demSchädel einen Hut mit mehr Federn, als am Schwanze eines Hahnes prangen.
    Drei oder vier Schritte vor uns blieb er stehen, hielt die Laterne hoch und betrachtete uns höchst neugierig, ohne die geringste Spur von Angst, obgleich wir zu viert, jung und bewaffnet waren, er indes alt und allein.
    »Auf, auf, Kinder«, sprach er dann rauh, doch nicht ohne Herzlichkeit, »erhebet euch! Euer Ruheplatz ist schlecht gewählt, denn die Stätte hier

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