Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
solche brudermörderische Metzelei die Rechtsordnung eines Königreiches begründen?«
Ich schwieg, weil ich keine Antwort darauf wußte und auch vermeinte, dies sei weder die rechte Zeit noch der passende Ort für solcherart Erörterungen.
»Monsieur«, sprach ich dann, »so Ihr einen Freund in Euerm Viertel habt, welcher Euch für einige Zeit verbergen könnte, dann sagt es mir, und ich werde versuchen, ihm eine Botschaft zu überbringen.«
»Ach, Monsieur de Siorac! ich selbst habe mich gestern um Mitternacht in diesem Botenamt versucht. Indes meine Kerkermeister sich dem Trunke hingaben, verließ ich mein Haus durch eine Geheimtür …«
»Was! Hier gibt es eine versteckte Tür?« rief ich, höchstlich erstaunt, daß er sie nicht zur Flucht nutzte.
»Da ist sie«, erwiderte Monsieur de la Place, ließ mit dem Finger eine Wandtäfelung zur Seite gleiten und entdeckte mir einige Stufen, die ins Dunkel führten. »Diese Wendeltreppe, welche ich zu meiner Bequemlichkeit habe bauen lassen, führt in meinen Pferdestall, und von dort gelangt man über eine hinterm Heu versteckte Tür in die Rue Boutebrie. Auf diese Weise verließ ich also in der vergangenen Nacht mein Haus, allein, ohne einen Diener, das Gesicht in meinen Mantel vergraben, und ging, bei zwei Freunden anzuklopfen, deren Türen sich jedoch nur öffneten, um sich sogleich wieder zu schließen, nachdem man meiner ansichtig geworden: der König hat bei Todesstrafe verboten, den Hugenotten Beistand zu gewähren.«
»Wie! höre ich recht, Monsieur? Ihr seid aus freien Stücken in diesen Kerker hier zurückgekehrt?«
»Monsieur de Siorac«, entgegnete der Vorsteher La Place, nicht ohne daß sich einige Gefühlsregung auf seinem strengen Antlitz zeigte, »hätte ich die Meinen im Stich lassen sollen, auf die Gefahr, daß man an ihnen Rache nimmt für meine Flucht?«
Ha! dachte ich bei mir, wie wahr ist doch das Sprichwort: Wer sich ein Weib nimmt und ihm Kinder macht, der gibt dem Schicksal Geiseln in die Hand. Doch wer vermag ohne solche zarte Bande zu leben, auch wenn sie einen im Unglück fesseln und ketten?
Indes mir solcherart Gedanken durch den Sinn gingen und mich Mitleid mit dem Geschick von Monsieur de la Place erfaßte, so daß ich darüber das meine vergaß, welches mich – vielleicht dank meiner Unbeweibtheit, meiner Jugend und meiner tapferen Gefährten – weniger hoffnungslos dünkte, öffnete sich eine Tür, und es erschien die so geliebte Familie, verzweifelt und den Tränen nahe. Monsieur de la Place stellte mir sein Eheweib vor, ein Frauenzimmer von etwa vierzig Jahren, das halb blonde, halb weiße Haar mit einer schwarzen Samthaube bedeckt, mit einem ebenfalls schwarzen Kleide angetan, der Reifrock von mäßigem Umfang, das Dekolleté bescheiden, dieÄrmel gebauscht, am Gürtel den Schlüsselbund des Hauses nach bürgerlicher Art; sodann seine Tochter, so schön und verführerisch anzuschauen, daß ich bei ihrer Begrüßung die Augen senkte, da ich meine Natur nur zu gut kannte und sie in diesem Haus der Trauer nicht allzu begehrlich ansehen wollte; hernach ihren Ehemann, Sieur Desmarets mit Namen und seines Standes Gerichtsrat, in dessen einnehmenden Gesichtszügen sich Furcht darüber zeigt, der Tochtermann eines stadtbekannten Reformierten und selbst ein Hugenott zu sein; und schließlich zwei Knaben in einem Alter, wo keiner ans Sterben denkt, welche deshalb über das Schicksal ihrer Eltern bekümmerter schienen als über ihr eigenes.
Die Eingetretenen drängten sich in ihrer Kümmernis unter vielem Seufzen, jedoch ohne ein Wort zu sprechen, um das Oberhaupt der Familie, küßten ihm die Hände, umarmten ihn oder sanken zu seinen Füßen nieder.
»Beruhigt Euch, Liebste«, sprach Monsieur de la Place zu seinem Eheweib und half ihr vom Boden auf, »quält Euch nicht so! Bedenket immer, daß hienieden nichts geschieht, ohne daß es Gottes Wille wäre. Es geschehe also Gottes Wille, und sein Name sei gelobt.«
Als er nun sah, daß ich mich zur Tür wandte, denn ich wollte mich von dem letzten Beisammensein dieser leidgeprüften Familie zurückziehen, sprach Monsieur de la Place:
»Nicht doch, mein Freund, ein ehrenwerter Mann ist uns hier zu sehr willkommen, als daß wir Euch von uns gehen lassen wollen. Zudem seid Ihr jetzt einer der Unseren, denn ohne Euch wären die Plünderer in mein Haus eingedrungen und hätten es gänzlich verwüstet. Anstatt uns also zu verlassen, mein Freund, rufet vielmehr Eure Gefährten und die
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