Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
flußaufwärts segelten. Sie waren von großer Zahl und auch von solcher Größe, daß sie Stroh und Heu zu befördern vermochten, denn es gab in Paris, wie mir Pierre de l’Etoile vermeldete, mehr als hunderttausend Reit- und Zugpferde, also ein Pferd auf drei Einwohner! Ist das nicht staunenswert? Ich möchte vermeinen, daß die Beförderung der umfänglichen Mengen an Heu und Stroh zu Wasser billiger zu stehen kam als zu Lande, wobei jedoch, wie ich ersehen konnte, Geduld und Ausdauer erforderlich waren, wenn der Wind zu wehen aufhörte oder nicht mehr von derselben Seite kam, denn der Lauf der Seine ist gewunden. Wie dem auch sei, ich bewunderte den Anblick all dieser leicht über das Wasser gleitenden Segel, davon etliche blau oder rot waren, als auch der Boote, welche sich in entgegengesetzter Richtung, nur vom Steuer gelenkt, rasch mit der Strömung flußabwärts bewegten.
Nachdem wir das liebliche Saint-Cloud hinter uns gelassen, erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße nach Paris wieder Felder und Wiesen, in deren Grün eingebettet noch andere Dörfer lagen, aus denen Ackersleute, welche ihre Früchte in der Stadt verkaufen wollten, zur Landstraße zogen, wodurch das Gedränge nur noch größer wurde. Insonderheit erfreute es mich, in der Ferne zur Rechten wie zur Linken, vergoldet von den Strahlen der schon tiefstehenden Sonne, die vielen Mühlen zu betrachten, welche sich auf ihren Hügeln geschwind im Winde drehten, und ich dachte bei mir, daß sie wohl weder bei Tage noch in der Nacht einen Augenblick stillstehen dürften, wenn Mehl genug für all die Menge Volkes in der großen Stadt gemahlen werden sollte.
Gegen Abend erreichten wir die Vorstadt Saint-Germain, welche mir gar wenig gefiel mit ihrem ärmlichen, vernachlässigten Aussehen, den ungepflasterten Straßen und den schmutzigen, zerlumpten Gestalten, welche mit finsterer Miene unseren Pferden widerwillig Platz machten und uns Blicke zuwarfen, als wollten sie uns gleich niedermachen und ausrauben.Wir kamen alsdann an den Mauern der reichen Abtei Saint-Germain-des-Prés vorbei, welche gar hoch waren, als wollten die Mönche ihre Schätze vor der Gier des Lumpenpacks schützen, das sich wie Ungeziefer um sie herum breitmachte. Die Abtei mit ihren vielen als auch schönen Gebäuden kam mir wie eine Stadt in der Stadt vor. Pierre de l’Etoile berichtete mir, daß auf der anderen Seite der Abtei die Scholarenwiese liege, welche Gegenstand eines nicht enden wollenden Gezänks zwischen den Mönchen und den Studenten der Universität war, die sich gegenseitig ihren Besitz streitig machten. Hätte die Zeit nicht gedrängt, denn es war bereits sechs Uhr, dann hätte er einen Umweg gewählt, sie uns zu zeigen, weil, so sagte er, auf selbiger Wiese die Reformierten von Paris zum ersten Mal die
Psalmen
gesungen, was den Auftakt gegeben zu den schlimmen Verfolgungen, welchen sie seitdem ausgesetzt.
Pierre de l’Etoile sprach von dieser Befeindung der Andersgläubigen mit solch grimmiger Entrüstung, daß ich herauszuhören vermeinte, er sei denen unseres Glaubens nicht ganz ungewogen, welcher Gedanke mein Herz rührte und mich mehr für ihn einnahm denn alles, was er bis dahin gesagt oder getan.
Unter solchen Gesprächen und indem mir Monsieur de l’Etoile Erklärungen gab zu den Vororten seiner Stadt, welchselbiger er mit größter Liebe zugetan, was ihn nicht hinderte, unablässig über ihre »Makel und Schandmale« zu klagen (ich habe später herausgefunden, daß diese zänkische Liebe zu ihrer Hauptstadt eine Eigentümlichkeit der Pariser ist) –, langten wir schließlich an der Stadtmauer an, welche mir zu meinem höchsten Erstaunen gar armselig, ja verfallen und äußerst schlecht befestigt schien.
»Allmächtiger Gott!« rief ich aus, »ist dies die Befestigungsmauer der größten Stadt im Königreiche? Ist es nicht Jammer und Schande, daß sie in solchem Maße ungeschützt ist? Wo doch Carcassonne so wehrhaft ist mit seinen starken Schutzwällen? Und selbst Montpellier so wohlbefestigt?«
»Potztausend, Monsieur de Siorac«, entgegnete Pierre de l’Etoile erneut voller Grimm, »Ihr habt mehr recht, als Ihr glaubt. Denn das Stück Mauer, welches Ihr hier vor Augen habt und welches sich vom Buccy-Tor bis zum Saint-Germain-Tor erstreckt, ist noch nicht das schlimmste, so übel es auch aussieht.Wenn Ihr erst sähet, in welch jammervollem Zustand sich die Mauer an der Vorstadt Saint-Marceau befindet, dann würde Euch wie mir die Schamröte
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