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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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getan.«
    »Und was war mit eurem Gerede über Revolution und Bomben? Ihr habt das sogar in euren Blättchen geschrieben. Ihr wart dermaßen prinzipientreu, daß ihr anderen Meinungen als euren einfach keinen Platz eingeräumt habt!«
    Ich wurde böse, das sah er mir an und zog seine Fühler wieder ein.
    »Entschuldige, Schwesterchen. Das klang heftiger, als es gemeint war. Die Siebziger waren schon komisch.«
    »Kann ich noch eine Zigarette haben?« fragte ich, und er gab mir Feuer. Diesmal schmeckte es schlicht nach Rauch. Es wäre einfach, wieder anzufangen, denn die Zigarette besänftigte einen und beschäftigte die Finger. Man fühlte sich wieder wie ein Baby, steckte etwas in den Mund und war getröstet.
    Ich sagte:
    »Die Prinzipien schufen eine Gefühlskälte, das stimmt. Der Zweck heiligte die Mittel. Zugegeben. Manche haben die Zeit der späten Sechziger wie einen Traum in Erinnerung, eine Hoffnung, eine Euphorie. Meine Erinnerungen sind eigentlich von Verbitterung geprägt über die Unversöhnlichkeit, die besonders die Männer an den Tag legten. Meine guten Erinnerungen sind mit der Solidarität in der Frauenbewegung verknüpft. Das vermisse ich. Aber die revolutionären Männer? Nein danke. Ich gebe auch zu, daß in unseren Reihen ein totalitäres Gespenst umging, aber die Revolution kam nie. Unsere Prinzipien standen nie auf dem Prüfstand wie die von Vater. Für die allermeisten von uns blieben sie Theorien. Die Dänen wollten keine Revolution. Wir mußten uns für keine Seite in einem Krieg entscheiden.«
    »Gott sei’s gejubelt und gepfiffen!«
    »Du bist ein alter Sozialdemokrat, Teddy.«
    »Ach, ich bin überhaupt nichts. Leicht links, Richtung Mitte, es bloß mit keinem verderben, gut dänisch, damit fahre ich am besten.«
    Ich lächelte ihn an, meinen prinzipienlosen Bruder. »Eigentlich war das Ganze ungefährlich für mich und die anderen. Natürlich haben wir es sehr ernst genommen, aber vielleicht wußten wir, daß es ein Übergang war. Und wenn du es unbedingt wissen willst: Anfang der neunziger Jahre, nach dem Fall der Mauer, habe ich meine Einstellung geändert. Es gibt wohl keinen anderen Weg als den der Reformen. Das Totalitäre taugt nichts. Der Preis ist zu hoch. Ich habe das totalitäre Gespenst begraben, Teddy. Außerdem war ich immer ein nettes Mädchen, das seinen Studien nachging, sich um seine Dozentenstelle und seine Studenten und später um den Lehrstuhl kümmerte.«
    »Besser spät als nie«, sagte er, und ich spürte, wie der Zorn über seine implizite Verachtung in mir aufstieg. Er selbst hatte nie irgendwelche Prinzipien von Bedeutung gehabt, und wie die meisten Leute dieses Schlages war er mit seinem Urteil schnell bei der Hand.
    »Na«, sagte er, »deswegen können sie dich jedenfalls nicht verurteilen. Dann müßten sie nämlich einen ganzen Haufen der vornehmsten Söhne und Töchter der Nation am Schlafittchen packen und aus dem Folketing und dem Dänischen Rundfunk und den Chefredakteurssesseln hinausbefördern oder wo auch immer sich die heute etwas ergraute Avantgarde der Revolution herumtreibt, so nett und marktorientiert, wie sie ist. Da hätte das Westgefängnis hier ein Platzproblem. Aber das habe ich ja immer gesagt. Worte sind billig in diesem Land. Sie haben keine Folgen.«
    »Das stimmt wahrscheinlich, Teddy. Aber immer mit der Ruhe. Sie haben nichts in der Hand gegen mich. Es ist die letzte Dünung, die von der fernen Front des kalten Kriegs an Land schlägt. Ich komme bald raus.«
    »Schön zu hören, Schwesterchen. Wir können dich in der Familie nicht entbehren. Du hältst sie nämlich zusammen.«
    Ich wußte, daß er Lust hatte, viele private Fragen zu stellen, aber er konnte mir deutlich ansehen, daß ich das mit all den großen menschlichen und elektronischen Ohren um uns herum für keine gute Idee hielt. Wir saßen da, hielten uns die Hand und schwiegen, bis er dann doch noch eine Frage stellen mußte.
    »Und wie heißt die gute Schwester, die ich plötzlich gekriegt habe?«
    »Mira. Mira Majola.«
    »Klingt wie ein Pflanzenöl. Bei mir hieß sie Maria.«
    »Ein andermal, Brüderchen.«
    Der Gefängnisbeamte räusperte sich und sagte, daß die Zeit um sei und wir uns verabschieden müßten. Leider, sagte er im Grunde freundlich, aber so seien nun mal die Vorschriften. Ich konnte mir vorstellen, wie Toftlund mit seinen Kopfhörern auf den Ohren über diesen Paragraphenreiter fluchte, jetzt wo die Unterhaltung interessant zu werden versprach. Ich

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