Die guten Schwestern
NATO-Krieg zu stoppen versuchen, wer es mit wem treibt. Der schöne Alltag, den man nur vermißt, wenn er einem genommen wird. Er hat mich mehrmals zum Lachen gebracht. Und es war wunderschön zu hören, wie er mich »Schwesterchen« und »Irma-Mädchen« nannte, wie er es immer getan hat und immer noch tut, obwohl ich mich den Sechzig nähere. Er war immer unser Augenstern. Vielleicht haben Fritz und ich unsere Bitterkeit und Enttäuschung dadurch kompensiert, daß wir die ganze Liebe, die wir verloren zu haben glaubten, auf den kleinen, blondgelockten Theodor projizierten, dessen Haare erst später braun wurden.
Was uns in Wirklichkeit auf der Seele lag, darüber durften wir ja nicht sprechen. Natürlich fragte Teddy, wie es mir gehe, und ich zuckte die Schultern, und er sagte, ich sei dünn geworden, aber ich sei noch immer die schöne Irma mit den intensiven Augen. So ist mein kleiner Bruder, immer schnell mit einem Kompliment und einer kleinen Lüge bei der Hand, aber dumm ist er beileibe nicht, und er wußte, daß gewisse Dinge lieber ungesagt bleiben sollten.
Die Stunde ging viel zu schnell vorüber. Gegen Ende konnte er sich die Frage doch nicht verkneifen:
»Was ist eigentlich mit deinem Vater passiert?«
Ich habe mir gut gemerkt, daß er »dein« Vater sagte. Für Teddy war unser Stiefvater der Vater. Er konnte sich an nichts anderes erinnern, und er wurde von seinem Stiefvater auch richtig verwöhnt. »Pappvater« würde man das heute auf dänisch nennen, aber Teddy empfand es nicht so. Ich dachte eine Weile nach. Er ließ meine Hand los und steckte sich eine Zigarette an, und obwohl ich schon vor vielen Jahren aufgehört habe zu rauchen, nahm ich eine von seinen und zündete sie an. Sie schmeckte seltsam, und mir wurde einen Augenblick lang schwindlig. Sie brachte viele Erinnerungen aus der Jugend zurück. Ein einziger sublimer Zug, und ich wurde in rauchgeschwängerte Kneipen mit lauten Stimmen, langen Haaren und klingenden Gitarren zurückversetzt. Zu nächtelangen intellektuellen Gesprächen über die Notwendigkeit der Revolution und den befreienden Bewußtwerdungsprozeß der Frauenbewegung. Und dem Bild eines vergessenen Liebhabers und dem Morgen in einem Bett, an dem das Licht zusammen mit dem Vogelgezwitscher des Monats Mai durchs offene Fenster dringt. All das kam in ein paar Zügen zum Vorschein, ehe ich die Zigarette ausdrückte und wieder Teddys Hand ergriff.
»Ich habe geglaubt, daß er in Hamburg gestorben ist«, sagte ich und beugte mich über den Tisch, so daß wir einem Liebespaar in einem Café glichen. »Denn so lautete die Meldung der Polizei. Im Hafen gefunden. Die Leiche war fast zersetzt, hatte wochenlang im Wasser gelegen. Es gab Anzeichen für ein Verbrechen. Er hatte eine Kopfverletzung. In der Jackentasche lag Vaters Paß, fast aufgelöst, aber noch entzifferbar. Ende der Geschichte.«
Er schaute mich an.
»Aber stimmt das? Ich habe eine Frau in Preßburg getroffen, Irma.«
»Darüber müssen wir jetzt nicht reden.«
»Sie hat behauptet, sie sei meine Halbschwester und Vater sei vor nicht mal einem Jahr gestorben.«
Wir sahen uns an. In seinen Augen lag Verzweiflung. Eine kranke Sehnsucht danach, endlich Bescheid wissen zu wollen, und ich dachte an die Fragen, die Toftlund mir gestellt hatte, und daß sie vielleicht sowieso einen Teil der Geschichte kannten und ich Teddys bange Ahnungen ebensogut bestätigen könnte.
»Es stimmt«, sagte ich.
»Was?«
»Daß Vater vor knapp einem Jahr gestorben ist und daß du eine Halbschwester hast.«
»Verdammt noch mal. Warum zum Teufel hat mir das nie einer erzählt? Weiß Fritz es?«
»Seit einigen Jahren.«
»Aber der kleine Bruder natürlich nicht.«
»Hätte es dir was bedeutet?«
Er zögerte ein wenig, zog an seiner Zigarette und sagte dann leise:
»Nein, Schwesterchen. Ehrlich gesagt, nein.«
»Siehst du.«
»Sie hat mir ein Bild von ihm in SS-Uniform gezeigt. Sah ziemlich abstoßend aus.«
»Sei nicht kindisch. Du bist Historiker. Du kennst die Zusammenhänge.«
»War er dabei? An der Ostfront? Und hat er dann in Dänemark anständige dänische Männer und Frauen gefangen und gefoltert?«
»Ja zur ersten Frage. Klares Nein zur zweiten. Aber ich finde, wir sollten uns das aufsparen, bis ich freigelassen werde.«
»Wirst du das?«
»Bestimmt. Sie haben nichts gegen mich in der Hand.«
»Mich löchern sie auch. Genauso wie andere. Über deine revolutionäre Vergangenheit.«
»Ich habe nichts Ungesetzliches
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