Die guten Schwestern
1999,16.32 Uhr. Verhör Irma Pedersen. Anwesend der Unterzeichnende, Vizekriminalinspektor Per Toftlund, sowie Kriminalassistentin Charlotte Bastrup.«
Es war heiß in dem kleinen, kahlen Raum. Bastrup war stehengeblieben und hatte sich an die farbig gestrichene Wand gelehnt. Sie trug eine enge schwarze Hose und eine weiße Bluse, unter der sich der Rand ihres BHs abzeichnete. Sie stand da mit ihrem kühlen, klaren Blick und hatte Irma nicht begrüßt. Toftlund hingegen hatte guten Tag gesagt, der Angeklagten den Gepflogenheiten entsprechend für ihr Erscheinen gedankt, als hätte sie eine Wahl gehabt, und versichert, es gehe nur um ein paar Kleinigkeiten, die der Klärung bedürften. Die üblichen Eingangsfloskeln unzähliger Ermittler. Bastrup hatte eine braune Mappe in der Hand. Sie war geschlossen. Toftlund saß Irma gegenüber, auf dem gleichen harten Stuhl mit der steifen Lehne wie sie. Vor ihm lag ebenfalls eine braune Mappe. Sonst befanden sich auf dem Laminattisch nur noch ein Wegwerffeuerzeug aus blauem Plastik und eine frisch geöffnete Packung Filterzigaretten sowie ein schwerer grauer Keramikascher, dessen Boden schon von zahllosen nervösen Inhaftierten schwarz verschmiert war. Toftlund verabscheute Tabakrauch, aber daß Irma angefangen hatte zu rauchen, freute ihn genauso wie die Tatsache, daß Lise damit aufgehört hatte. Es war ein weiteres Zeichen dafür, daß Irma nicht ganz so ruhig und selbstsicher war, wie es die grünen Augen und das leichte Lächeln und der gerade Rücken zu signalisieren versuchten. Sie hatte heute eine praktische Bluse und hellblaue Jeans an. Eigentlich eine jugendliche Kleidung, aber ihre Generation war den Jeans und anderen sportlichen Klamotten nie entwachsen. Sie hatte sich mit ihrem Aussehen Mühe gegeben, hatte die Lippen diskret hellrot geschminkt und die Augen mit Schwarz und etwas Grün nachgezogen. Es paßte gut zu ihrer Augenfarbe und der weißen Haut mit den eigentlich recht kleidsamen Fältchen in einem schön geformten, beinahe klassischen Gesicht. Trotz ihrer sechzig Jahre war sie zweifellos eine attraktive Frau, dachte Toftlund. Sie war von Natur aus schlank, und vielleicht hatte ihr Körper deshalb seine Geschmeidigkeit und natürliche Fülle bewahrt, die ihm nach wie vor eine erotische Ausstrahlung verlieh. Nur die Haut war ein wenig grau geworden. Das war so im Gefängnis. Und in ihren kühlen, intelligenten Augen verbargen sich Unsicherheit und Müdigkeit. Als schliefe sie nicht genug. Als würde ihr die Isolationshaft allmählich ernsthaft zu schaffen machen. Die Isolierung von Untersuchungsgefangenen war in Dänemark sehr gebräuchlich und wurde in den Medien und im Ausland oft kritisiert, Toftlund aber hielt es einfach für eine wirksame Methode, den Verteidigungswillen eines Menschen zu brechen. Glücklicherweise durften sie die Geständnisse aus den Leuten ja nicht herausprügeln. Und darüber war Toftlund froh. Für die Kollegen, die hin und wieder die nassen Handtücher benutzten, hatte er nur Verachtung übrig. Das Ziel war natürlich dasselbe. Wenn die Angeklagten nicht sofort gestanden und damit allen eine Menge Zeit ersparten, mußten eben die Methoden angewandt werden, die das Gesetz erlaubte. Denn daß Irma schuldig war, daran zweifelte er nicht eine Sekunde.
Sie zündete sich eine Zigarette an, blickte dabei auf und blies ihm mit Absicht den Rauch ins Gesicht. Konnte schon sein, daß er sie mittlerweile ein wenig durchschaute, aber sie wußte dafür, wie sie ihn ärgern konnte.
»Oh, heute erweisen mir Donald und Daisy die Ehre«, sagte sie, sog den Rauch ein und schloß dabei halb die Augen. Ihre Stimme war klar und melodisch.
»Wie wär’s, wenn wir mit dem Geschwafel mal aufhören würden, Irma«, sagte Toftlund. »Und die Karten auf den Tisch legen und eine Menge Zeit sparen. Es gibt ja keinen Grund, sich dauernd zu wiederholen.«
»Ich dachte, dafür werden Sie bezahlt?«
»Ich werde dafür bezahlt, Leute wie Sie im Namen der Gesellschaft vor Gericht zu bringen, damit sie ihre angemessene Strafe bekommen.«
»Dann muß Ihr Gehalt aber bescheiden sein.«
»Wir haben das alles schon mit Ihnen durchgekaut. Wir haben nachgewiesen, daß Sie fremden Mächten vertrauliche Informationen übergeben haben. Wir haben nachgewiesen, daß Sie Ihrem Land geschadet haben. Wir haben Sie mit Ihrem Decknamen in den Stasi-Archiven in Zusammenhang bringen können. Wir haben Ihnen schwarz auf weiß gezeigt, wie das zusammenhängt. Sie könnten sich
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