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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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der neuesten italienischen Mode entsprechend. Ansonsten herrschte eine naturwidrige Mischung aus Pferdekarren und matschverklebten alten Mercedesmodellen, von denen keiner wußte, wie sie ins Land gekommen waren. Als hätte der Krieg für einige wenige einen plötzlichen Wohlstand mit sich gebracht. Oder waren die Wohlhabenderen bloß diejenigen, die die großen Schwankungen des albanischen Kapitalismus überlebt hatten, oder Repräsentanten der allgegenwärtigen Mafia?
    Carsten S0rensen und Toftlund tranken Kaffee und Saft. C, wie er beim Militär stets genannt worden war, hatte wie alle anderen in Albanien müde Augen. Er überreichte Toftlund eine kleine, billige Sporttasche.
    »Das ist eine Beretta 927, wie sie die französischen und italienischen Soldaten benutzen. Mit Schulterholster und drei Magazinen extra. Wiedersehen macht Freude«, sagte er.
    »Danke, C«, sagte Toftlund und stellte die Tasche zwischen seine Füße.
    »Du sollst ja nicht nackt in diesem Land rumlaufen«, sagte S0rensen. »Nach 22 Uhr ist Tirana wie ausgestorben. Nicht mal wir gehen dann aus. Überall Schießereien. Mafiaabrechnungen und Familienfehden. Es wird geschossen, es gibt Autobomben oder Bomben in Taschen. Dieses Land ertrinkt in Waffen. Jeder hat eine, und keiner schreckt davor zurück, sie zu benutzen. Das Restaurant hier wurde vor einem Jahr bei einem Bandenkrieg in die Luft gesprengt.«
    »Ich wußte gar nicht, daß du schon mal dagewesen bist.«
    »Als UN-Waffeninspektor. Im ganzen Land liegen Munition und Waffen, sie lagern hier unter Bedingungen, die du nicht für möglich hältst. Die Idee dahinter war, daß es jedem Albaner möglich sein sollte, sich zu bewaffnen, wenn die Italiener oder die Russen oder zum Schluß sogar die Chinesen kämen.«
    »Ich glaube, hier ist alles möglich. Von der größten Gastfreundschaft bis zur größten Brutalität.«
    C. zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in eine andere Richtung.
    »Genau ins Schwarze getroffen. Sie sind gastfreundlich wie überall auf dem Balkan und brutal wie überall auf dem Balkan. So sind sie aufgrund ihrer Geschichte geworden. Das Schlimmste am Kommunismus war eigentlich nicht die idiotische Ideologie selbst, sondern daß er Millionen Menschen zur Brutalität erzogen hat, weil er das Individuum verachtete. Das Individuum war nur eine Mutter in der großen Fabrik der Revolution, wie es, glaube ich, Stalin genannt hat. Ein Beispiel: Heute morgen habe ich mit einer Frau gesprochen, die vor einer knappen Woche aus dem Kosovo gekommen ist. Zusammen mit sieben anderen Frauen und Kindern. Der Rest ihres Dorfes ist vernichtet worden. Die serbische Miliz hat die Männer von den Frauen getrennt und die Alten von den Kindern und hat zu den Männern gesagt: Grabt eine Rinne. Das haben sie getan. Der nächste Befehl war: Wer Geld hat, darf gehen, wer keins hat, muß bleiben. Dann nahmen sie ihnen das Geld ab, erschossen die mit dem Geld und die ohne und warfen sie in die Rinne, vergewaltigten die Frauen und jagten sie und die Kinder in die Berge, ehe sie das Dorf abbrannten. Das ist schon schlimm genug. Aber weißt du, was das Schlimmste ist?«
    Toftlund schüttelte den Kopf.
    »Nicht, daß es Tausende von solchen Geschichten gibt. Sondern daß die Albaner zurückkommen, wenn wir Milošević erledigt haben, und es den Serben mit gleicher Münze heimzahlen werden, während wir danebenstehen und zugucken müssen.«
    Auf der Rückfahrt nach Durrës erzählte Toftlund Torsten Poulsen die Geschichte. Es waren nur vierzig Kilometer bis zu der Hafenstadt, aber wegen der kaputten, morastigen und überlasteten Straße, auf der der Toyota schaukelte wie ein Schiff in Seenot, dauerte die Fahrt mehr als zwei Stunden.
    »Solche Stories höre ich jeden Tag«, sagte er. »Ich kann dir eine andere erzählen, die vielleicht illustriert, warum es hier noch einiges zu tun gibt, und zwar noch viele Jahre lang. Enver Hodscha, der seinerzeit bei gewissen Leuten zu Hause ein großer Revolutionsheld war, war ein Diktator. Das wissen alle. Aber er war auch verrückt. Er wandelte in seinem großen Palast umher und verlangte, daß alle Französisch sprachen, und das in einem Land, das kaum zu fressen hatte. Eines Tages beschloß er, sich einen Doppelgänger anzuschaffen. Seine Geheimpolizei fand einen kleinen Zahnarzt im Norden, der ihm ähnlich sah. Enver Hodscha versammelte also die zehn, zwölf Schönheitschirurgen, die es in Albanien gab, und die bastelten dann aus dem Zahnarzt den

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