Die guten Schwestern
perfekten Doppelgänger Hodschas. Mit Erfolg. So konnte der Zahnarzt den Diktator geben, wenn dieser Angst vor Attentaten hatte oder einfach keine Lust, Hände zu schütteln oder einen neuen Bunker einzuweihen. Als die Operation gut überstanden war, rief Hodscha die Ärzte und Krankenschwestern zu sich und sagte, daß sie aus Dank für ihren revolutionären Einsatz mit einem Urlaub in den besten Luxushotels belohnt würden, die Albanien aufzuweisen hatte. Ich weiß nicht, ob es welche gab. Jedenfalls wurden sie in einen Bus gesteckt, den modernsten des Landes. Und dann wurden sie mit Bus und allem Drum und Dran geradewegs in die Adria gefahren, und da liegen sie noch immer auf dem Grund des Meeres.«
Toftlund hatte die kleine Sporttasche auf dem Schoß und sah Torsten an, der gerade einen Esel umkurvte. Der saß mitten auf der Fahrbahn und weigerte sich weiterzutrotten, obwohl ein älterer bärtiger Mann seinen Rücken mit einem Knüppel bearbeitete.
»Gute Geschichte, aber ist sie auch wahr?« sagte Toftlund.
»Sie ist genauso wahr wie alles andere hier auf dem Balkan.«
»Von wem hast du sie?«
»Von einem, der Hodschas Biographie geschrieben hat.«
»Es klingt unrealistisch.«
»Albanien, die Vergangenheit, der Balkan, der Krieg. Alles ist hier sowohl phantastisch real mit realen Problemen als auch vollkommen irreal, fast wie ein Alptraum, wie ein verzerrtes Spiegelbild des Bösen, das in uns allen steckt. Erst in den letzten fünfzig Jahren ist es in unserm Teil der Welt mit Glück und Können gelungen, die Bestie im Menschen zu unterdrücken.«
»Wie philosophisch«, sagte Toftlund und bereute es auf der Stelle. Er merkte, daß er Torsten beleidigte, indem er sich über seine ernsten Worte lustig machte. Aber Per ging eben, wie Lise zu sagen pflegte, in Deckung, sobald Gefühle oder ernsthafte Gedanken aufs Tapet gebracht wurden.
»Ich lese Bücher, Per. Das solltest du auch mal versuchen. Das ist besser als das, was du da in der Tasche hast. Das ändert nämlich gar nichts«, hatte Torsten gesagt, als sie gerade mühsam die Vororte von Durrës erreichten.
Dabei war Toftlund, wenn er unten am Hafen entlangging, eigentlich ganz froh über das Gefühl der Sicherheit, das ihm die Pistole im Schulterholster gab. Nachts hörte er von dort unten Schießereien, wenn er an seinem Fenster stand und in die Dunkelheit hinausschaute. Immer wurden die Schießereien von Hundegebell begleitet, das in einer Ecke des Viertels anfing und sich dann über die ganze Stadt ausbreitete. Einmal war er aufgewacht, weil er dachte, der Krieg habe Durrës erreicht, aber es war nur der Donner, der zusammen mit Blitzen über das Meer rollte, die den Nachthimmel und die Stadt in regelmäßigen Abständen wie riesige Blitzlichter erleuchteten. Kurz darauf begann es dann, in Strömen zu regnen, und er mußte in seinem bescheidenen, aber sauberen Hotelzimmer an die Tausenden von Flüchtlingen denken, die vielleicht nur mit einer Decke oder einem Stück Plastik über sich unter freiem Himmel schliefen. Der Regen prasselte auf das Dach und ließ kleine Flüsse durch die nichtasphaltierten Straßen strömen. Noch ein mächtiger Blitz zerriß das nächtliche Dunkel, so daß das Minarett der nahen Moschee für einen Augenblick wie auf ewig gemeißelt dastand.
Am Abend überprüfte er auf seinem Zimmer die Pistole, bevor er Teddy abholte, der mit drei Fahrern würfelte, die am nächsten Morgen ihre nächste Tour fahren mußten. Toftlund bewunderte Teddys Talent, mit den meisten Menschen ins Gespräch kommen zu können. Zweifellos fanden die Fahrer den kleinen charmanten Mann lustig und ungezwungen. Überhaupt nicht versnobt, obwohl er Akademiker und was noch alles war, schienen die schweigsamen LKW-Fahrer mit den Augen, die in den letzten Wochen allzuviel gesehen hatten, zu denken.
»Kommst du, Teddy?« sagte Toftlund.
Schweigend durchschritten sie die Gasse vor dem Hotel und betraten die Hauptgeschäftsstraße von Durrës, die an dem einen Ende vom Hafen und am anderen von der Moschee begrenzt wurde. Toftlund hatte das Gelände erkundet, so daß ihm die Gegend um das kleine Restaurant herum vertraut war. Und er hatte sich von Teddy, der hinter seiner hohen Stirn ein ungeheures Wissen aufbewahrte, die Geschichte der Stadt erzählen lassen. Durrës war alt und heute mit 85 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Albaniens. Sie lag an einer Bucht. Überall sah man den italienischen Einfluß, von den alten römischen Ruinen bis zur aktuellen
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