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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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keinen Grund dazu!« sagte Toftlund. Seine Stimme zitterte ein wenig. Er verstand seine Reaktion nicht. Tagtäglich wurden Menschen ermordet, verbrannt, gefoltert, ausgeplündert, vergewaltigt und vertrieben, und er erregte sich über einen alten Mann, der ein paar halbwüchsige Jungs haute.
    Als könnte Andre Toftlunds Gedanken lesen, sagte er:
    »Irgendwann haben wir alle genug, dann wollen wir was tun und sofort das Ergebnis sehen. Dann sind wir die Guten. Wir denken, wir könnten mit einer guten Tat das große, abstrakte Böse, das wir nicht verhindern können, verschwinden lassen. Wir denken, mit einer solchen Beschwörung hätten wir uns der Verantwortung entledigt. Sie haben sich hier nicht einzumischen, Mr. Toftlund. Ich weiß, daß Sie jemanden suchen. Schauen Sie sich um. Hier sind fünftausend Menschen, Hunderte kommen jeden Tag dazu, aber versuchen Sie es in Gottes Namen. Und dann fahren Sie nach Hause und lassen Sie uns unsere Arbeit machen, soweit es in unserer Macht steht, okay?«
    »Okay. Aber warum hat er sie geschlagen? Warum darf er das?«
    »Er ist der einzige überlebende Mann seines Dorfes. Alle anderen liegen in einem Massengrab. Er war nichts Besonderes in seinem Ort, fast eine Art Dorftrottel. Jetzt ist er der Dorfälteste und hat das Gefühl, für Anstand, Ordnung und Erziehung sorgen zu müssen. Er schlägt auch nicht alle Kinder. Nur die seines eigenen Dorfes. Er schlägt nur die, die er liebt.«
    »Das ergibt keinen Sinn.«
    »Nicht in Ihrer reichen Welt. Hier schon. Hier ergibt es sehr viel Sinn.«
    »Und die Mütter? Was sagen die denn dazu?« versuchte es Toftlund noch einmal zaghaft.
    »Die meisten Kinder sind von ihren Eltern getrennt worden. Die meisten Männer sind getötet, die meisten Frauen vergewaltigt, viele sind tot, andere sind in die Berge geflohen, wieder andere befinden sich vielleicht in anderen Lagern hier oder in Mazedonien. Alle sind total ausgeplündert, die Alten sind die Glücklichen. Einige von ihnen. Suchen Sie diese Frau, Toftlund, und dann fahren Sie in Ihr reiches, kleines Land zurück. Sonst haben Sie hier nämlich nichts zu suchen.«
    Andres Blick fiel auf Torsten Poulsen, und mit einem Kopfnicken in Teddys Richtung verschwand er mit Poulsen im Flüchtlingslager.
    »Dein Fall wirkt plötzlich wie eine Bagatelle, wenn man sich das hier anguckt, nicht wahr, Toftlund?« sagte Teddy.
    »Jetzt halt endlich mal die Schnauze, Teddy.«
    »Oh, man hat da wohl einen wunden Punkt getroffen.«
    »Na und?«
    »Nichts weiter. Erst zeigt der Geheimagent ein bißchen Menschlichkeit, und dann kommen Risse in den offiziellen Panzer, ein kleines Fragezeichen hinter die Selbstverständlichkeit der Macht, hinter die Notwendigkeit, daß alles ans Licht muß. Daß die Strafe die Vermessenen ereilen muß.«
    »Darum geht es nicht.«
    »Worum sonst, Toftlund?«
    »Um Gerechtigkeit. Das Gesetz ist dazu da, eingehalten zu werden.«
    »Ah, ja, ja. Gerechtigkeit. Gesetz. Wunderbar. Und Rache?«
    »In jeder Strafe steckt auch Rache.«
    »Voilà. Aber nun bist du im Zweifel, ob es der Mühe wert ist, meiner lieben Schwester hinterherzurennen, die irgendwas Schmutziges gemacht hat, das so lange her ist, daß sich kein Schwein mehr dafür interessiert. Und du zweifelst deswegen, weil die Schrecken der Gegenwart, auf die du hier starrst, die kleinen Sünden der Vergangenheit verblassen lassen.«
    »Ich kann mit dir nicht diskutieren.«
    »Das brauchst du auch nicht.«
    Teddy schlug Toftlund auf die Schulter. Der sah ihn verblüfft an.
    »Ich mag dich, alter Toftlund. Du bist ein furchtbarer Betonkopf, der sich nicht ausdrücken kann, aber irgendwo da drinnen in der Brust dieses Stockfischs schlägt ein gutes Herz. Das Bild hier heißt: Teddy drückt seine Zuneigung mit einem männlichen Klaps auf die Schulter aus.«
    Toftlund schüttelte resigniert den Kopf.
    »Ich glaube, ich werde dich nie verstehen. Du bist einfach nicht ganz richtig im Kopf. Aber jetzt wollen wir deine Halbschwester suchen. Du mußt gucken, ob sie hier ist, damit wir endlich nach Hause fahren können. Denn jetzt ist es bald egal. Laß uns sehen, ob sie da ist.«
    Teddy sah Toftlund lächelnd an und genoß seinen überraschten Gesichtsausdruck, als er sagte:
    »Ich weiß, daß sie da ist. Sie hat da drüben Wäsche gewaschen. Und ist abgehauen, als sie ihren geliebten kleinen Bruder gesehen hat. Oder wahrscheinlich eher, weil sie einen Bullen auf tausend Meter Entfernung riechen kann.«

27
     
    T eddy versuchte Toftlund

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