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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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es war wie damals in der Kalkmine. Er war felsenfest davon überzeugt, daß ihn das Dunkel nie wieder loslassen würde.

28
     
    P er Toftlund betrachtete den Justizminister mit Interesse. Er sah genauso jung aus wie im Fernsehen, aber man durfte sich von den kindlichen Zügen, dem freundlichen, weichen Mund und dem blonden Schopf nicht täuschen lassen. Toftlund wußte, hier stand ein Politiker, der sein Handwerk verstand und seine Position durch seine mit einer ordentlichen Portion Brutalität angereicherte Fähigkeit zum politischen Manöver erreicht hatte. Ohne die konnte man vergessen, es in der Politik zu etwas zu bringen. Er war kein ausgebildeter Jurist, aber das mußte ja nichts heißen. Er stand einem gewichtigen Ministerium vor, und für die juristischen Fragen hatte er seine Mitarbeiter. Er hatte dafür zu sorgen, daß die Politik immer die Oberhand über die Juristerei behielt und dem Regierungschef keine unnötigen Probleme bereitete.
    Sie saßen im Büro des Ministers. Die Sekretärin hatte drei Tassen und eine Kaffeekanne auf den Tisch gestellt sowie Zucker und Sahne, die heutzutage ohnehin kaum noch einer nahm, und hatte den Raum verlassen. Hier sollte kein Protokoll geführt werden. Toftlund trug den Arm in der Schlinge, und er hatte schwarze Ränder unter den Augen, aber eigentlich tat der Arm gar nicht so weh. Jette Vuldom saß auf der anderen Seite des Tisches, der Justizminister am Tischende. Sie hatte die Erlaubnis erhalten zu rauchen. Vor dem Minister lag der Fall sowie ein einzelner Bogen Papier, auf dem Toftlund den Antrag des Oberstaatsanwalts vermutete, den Fall einzustellen. Der Minister erkundigte sich freundlich nach seiner gesundheitlichen Verfassung, und als sich Toftlund artig für die Nachfrage bedankt hatte, ging der vielbeschäftigte Mann in medias res, damit auch dieser Termin in seinem Kalender abgehakt werden konnte.
    »Wir nehmen die Anklage zurück«, sagte er und klopfte leicht auf den Bogen Papier vor sich. »Das ist der Antrag des Oberstaatsanwalts. Für eine Anklage reicht es nicht. An Toftlunds Bericht gibt es nichts auszusetzen – im Gegenteil, mein Kompliment –, aber der Oberstaatsanwalt und ich sind uns einig, daß er vor Gericht nicht Bestand haben würde, da es sich ausschließlich um Informationen aus zweiter Hand handelt.«
    Toftlund verstand, was er sagte, aber obwohl er sich konzentrierte, war er außerstande zuzuhören, als Vuldom vielleicht mehr aus Routine und Pflichtgefühl denn aus Überzeugung anfing, die eher nebulösen Aspekte der Ermittlung zu verdeutlichen. Es ging immer darum zu zeigen, welche großen Mittel gebraucht worden waren und welche großen Mittel auch ihre zukünftigen Aufgaben erforderten. Es war das übliche Spiel, dachte Toftlund kurz, Teil des modernen dänischen Rituals. Dann schaltete er ab und dachte an Albanien.
    Er sah den französischen Hubschrauber vor sich, der schnell gekommen und mit einem lauten Rumms zwischen den erschrockenen Erwachsenen und den faszinierten Kindern gelandet war. Er erinnerte sich an Miras gurgelnde Atemzüge durch die Sauerstoffmaske auf dem Weg zu dem französischen Lazarett. An die weißen Kittel, die sich über sie gebeugt hatten, und den Arzt, der sich aufgerichtet und den Kopf geschüttelt hatte. Teddy hatte sie nicht geküßt, nur ihre alten Wangen getätschelt, als wäre sie ein kleines Kind. Toftlunds eigene Wunde blutete gewaltig und tat mörderisch weh, aber glücklicherweise hatte das Projektil den Arm glatt durchschlagen und den Knochen nicht verletzt. Sie hatten ihm eine Morphiumspritze gegeben und den Arm hochgebunden. Mit der sterbenden Mira in ihrer Obhut hatte seine Fleischwunde nicht die oberste Priorität. Die Albaner waren von ihnen einfach liegengelassen worden. Um diese bedeutungslosen Mafialeichen sollten sich die albanische Polizei und die UNO kümmern. Vor Teddy mußte er wirklich den Hut ziehen. Der hatte sich zu seiner vollen, nicht sonderlich imponierenden Größe aufgerichtet und verkündet, falls er seine Schwester nicht in einem Sarg mitnehmen dürfe, um sie an einem Ort zu begraben, wo zumindest einer ihr Grab ohne Falsch und ohne Hintergedanken besuchen könne, verrate er kein Wort von dem, was sie ihm vor ihrem Tod anvertraut hatte. Teddy verschlossen wie Zimperlieschens Muschi, hatte er gesagt, und Torsten Poulsen und Toftlund konnten sich, trotz der ganzen Tragödie, ein Lächeln nicht verkneifen. Torsten hatte alles organisiert. Und hatte anständigerweise auch nicht

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