Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
Wind flackerte. Dahinter lag ein Park mit Wegen und Bäumen.
    Toftlund meldete sich an und nahm auf seinem Zimmer eine Dusche. Er überlegte, Lise anzurufen, aber ihm blieb keine Zeit. Konstantin Gelbert rief ihn aus der Lobby an. Toftlund hatte einen Bärenhunger. Seit dem Frühstück im plötzlich so fernen Kopenhagen hatte er nichts mehr gegessen.
    Gelbert hatte sich einen Schlips umgebunden, im übrigen trug er seine offenbar übliche saloppe Kleidung. Er hatte sich einen hellen Regenmantel über den Arm gelegt. Er gab Toftlund förmlich die Hand.
    »Ich hoffe, meine Mitarbeiter konnten Ihnen helfen.«
    »O ja, herzlichen Dank. Es war eine große Hilfe.«
    »Na, wunderbar. Im Laufe des Abends wird Ihnen einer meiner Mitarbeiter die gewünschten Kopien bringen. Direkt in die Hand. Es gibt keinen Anlaß, sie im Hotel herumliegen zu lassen.«
    »In Ordnung.«
    Gelbert faßte ihn sanft am Arm und schlug vor, zu Fuß in die Altstadt zu gehen. Es würde eine knappe Viertelstunde dauern. Der Regen hatte aufgehört, und für die Jahreszeit war der Abend recht mild. Toftlund wäre lieber mit Blaulicht und Sirene ausgerückt, damit sie so schnell wie möglich ein Restaurant erreichten, aber er nickte zuvorkommend.
    Er bereute es auch keineswegs, denn Gelbert war ein amüsanter und interessanter Plauderer. Sie spazierten über den Siegesplatz zur Altstadt hinunter. Die Straßen waren schwärzlich-naß, sie hörten das zischelnde Geräusch der Reifen, die durch die Pfützen fuhren, und obwohl der Wind schneidend war, wenn sie um eine Ecke bogen, machte Toftlund den obersten Knopf seines Mantels auf. Gelbert ging schnell, fast marschierte er mit kleinen Schritten und rudernden Armen, während er in seinem amerikanischen Slang, der in seinem Munde irgendwie falsch und doch richtig klang, die Geschichte der Millionenstadt Warschau erzählte. Sie kamen zum Schloßplatz, an dem rechterhand der wiederaufgebaute Königspalast lag, aber Toftlund ließ sich mehr von dem echt dänischen Würstchenwagen faszinieren, der mit seinem Steff-Houlberg-Schild neben dem massiven Schloß stand.
    »Alt und neu«, sagte er.
    Gelbert ließ sein helles Lachen erklingen.
    »Der Schein trügt, mein Freund«, sagte er. »Hier ist alles neu. 1945 war hier alles ein großer Haufen Steinbrocken. Eine Ruine neben der andern. Wir haben alles Stein für Stein wieder aufgebaut. Die Altstadt erhob sich wie ein Vogel Phönix aus der Asche, aber alt ist sie nicht. Sie ist ein Symbol unserer Geschichte. Wir sind immer in Grund und Boden geschossen und besetzt und geteilt worden, entweder von den Deutschen oder von den Russen. Sie haben versucht, unsere Seelen und unsere Geschichte zu besetzen, sie auszulöschen. Aber es ist ihnen nie gelungen. Jedesmal sind wir wiederauferstanden.«
    Eine hohe Säule mit einer Kriegerstatue beherrschte den Platz. Gelbert zeigte auf sie.
    »Unser großer König Sigismund. Die Russen haben die Statue gehaßt. Er bewacht Warschau, aber es ist ihnen nie aufgefallen – bis es zu spät war –, daß er sein Schwert nach Osten richtet statt nach Westen gegen die Kapitalisten. Es war eine richtige Entscheidung von uns. Auch heute. Heute sind die Deutschen unsere Verbündeten. Nie war Polen in seiner Geschichte sicherer als heute, aber die Zukunft, mein Freund – das haben wir Polen gelernt –, nehmen wir nie als gegeben an.«
    Toftlund blieb stehen und ließ seinen Blick über die schön restaurierten Gebäude schweifen, über die ruhig dahinflanierenden Fußgänger, die jungen Leute in Jeans und schicken gefütterten Jacken mit den ewig piependen Handys und schließlich drei klappernde Pferdewagen mit ein paar verfrorenen Touristen. Im Hintergrund vernahm man das tiefe Brummen des Autoverkehrs. Und trotz des Verkehrs auf der Schnellstraße an der Weichsel strahlte das glänzende, nasse Kopfsteinpflaster eine seltsame Ruhe aus.
    »Aber hier atmet der Friede und keine Gefahr«, sagte er. »Rußland ist schwach. Was kann Rußland schon tun? Es kann sich kaum selbst ernähren. In Tschetschenien haben sie Prügel bezogen. Ihr Militär verrostet. Sie konnten die Erweiterung der NATO nicht verhindern. Sie konnten die NATO nicht daran hindern, Krieg gegen Jugoslawien zu führen. Rußland ist so eine Art Obervolta mit Atomraketen. Jelzin kann weder sehen noch hören. Außerdem sind sie gezwungen, sich ordentlich zu benehmen. Etwas anderes können sie sich nicht leisten.«
    »Sie vergessen die Geschichte, Herr Toftlund«, sagte Gelbert. »In

Weitere Kostenlose Bücher