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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Sie einen Bericht zu diesem Bild?« Er fragte ruhig, obwohl sein Herz schneller schlug, aber sie spürten seine Spannung. Zumindest nickten sie beide und holten den Bericht aus dem Stapel Papier hervor. Er war wie die übrigen datiert und mit Schreibmaschine geschrieben.
    »Lesen Sie bitte alles vor«, sagte Toftlund.
    »3. Oktober 1998, 14.43 Uhr«, übersetzte der Pole, dessen Namen Per nie verstanden hatte. »Das Objekt geht vom Hotel Victoria in die Altstadt, setzt sich in ein Café und bestellt Kaffee, liest International Herald Tribune. Nach zehn Minuten bekommt das Objekt Gesellschaft von drei Männern, Ausländer, um die Siebzig. Gut gekleidet. Es scheint, als fragten sie das Objekt, ob sie sich an seinen Tisch setzen dürften, obwohl es genug freie Tische gibt. Sie sprechen eine Sprache, die der Observierende B, der sich an den Nebentisch setzt, nicht versteht. Er vermutet, daß es Holländisch oder Flämisch ist. Jedenfalls nicht Deutsch, obwohl es nach Deutsch klingt (B versteht und spricht Deutsch.) Nach näherem Nachdenken meint B, es müsse sich um Dänisch handeln. Das Objekt und die drei Männer beginnen eine Unterhaltung auf englisch. B spricht und versteht kein Englisch. Außerdem kann er nichts verstehen, weil ein Straßenmusikant nicht weit von ihrem Tisch entfernt anfängt, Geige zu spielen. Über den Inhalt des Gesprächs existiert also kein Bericht. Nach etwa zwanzig Minuten steht das Objekt auf, verläßt den Tisch und geht in sein Hotel zurück. Nichts anderes zu bemerken.«
    »Ist das alles?« fragte Toftlund und konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
    »Es gibt einen Nachtrag«, sagte der Pole und las vor: »Nachtrag zu Überwachungsbericht 234/10/1998. Observierender T…«
    Der Pole schaute von den Papieren auf.
    »Entschuldigung. Hier steht nur der Anfangsbuchstabe. Das ist bei uns die Regel, aber natürlich kann ich herausfinden, wer der Mitarbeiter war. Falls Sie es wünschen.«
    »Ist schon in Ordnung. Lesen Sie weiter.«
    Der Pole las vor:
    »Der Diensthabende T teilt mit, daß eine Paralleluntersuchung den Beweis erbrachte, daß die drei Männer, die das Objekt traf, keinerlei Relevanz bezüglich des Falles haben. Die drei Männer gehörten einer dänischen Jagdgesellschaft an. Es gibt keine kriminellen oder nachrichtendienstlichen Verbindungen zu den dreien. Die Grenzpolizei teilt mit, daß sie mit der Absicht nach Polen eingereist sind, hier auf die Jagd zu gehen. Wegen der guten Beziehungen zu Dänemark und gemäß den einschlägigen Datenschutzgesetzen wurden ihre Namen somit gelöscht.«
    »Gibt es dazu ein Datum?« fragte Toftlund.
    »Den 14. Oktober 1998.«
    »Die Namen haben Sie also nicht?«
    »Sie stehen jedenfalls nicht in dem Bericht.«
    »Könnten sie beschafft werden?«
    Der Pole zögerte ein wenig und schaute seinen Kollegen an, der ihm zunickte.
    »Vielleicht. Das dauert aber etwas. Die Demokratie ist einer zielstrebigen Untersuchung nicht immer zuträglich. Aber selbstverständlich müssen wir die Gesetzgebung beachten. Und die Rechtssicherheit der Bürger, früher war so manches leichter. Sagen jedenfalls meine älteren Kollegen. Wir haben die Namen nicht, aber wir können zur Einwanderungsbehörde gehen. Wenn die Männer jedoch nicht gegen polnische Gesetze verstoßen haben, dann haben wir sie nicht mehr im Computer. Es ist lange her, daß Dänen zur Einreise nach Polen ein Visum brauchten. Wenn sie regelmäßig gekommen sind, gibt es vielleicht etwas aus der Zeit des alten Regimes, aber ich habe da meine Zweifel. Wir haben ziemlich gründlich aufgeräumt.«
    »Würden Sie es trotzdem versuchen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Kann ich Kopien des Materials bekommen, das für meine Nachforschungen wichtig ist?«
    »Selbstverständlich. Ich habe gehört, daß Sie heute abend mit Oberst Gelbert essen gehen. Er wird Ihnen die Unterlagen mitbringen.«
    Der Rest des Materials war uninteressant für Toftlund. Der wortkarge Fahrer fuhr ihn in das große, moderne Hotel Victoria. Es regnete noch, aber die Luft schien milder geworden zu sein. Auf den Straßen herrschte Gedränge, die Leute bewegten sich im Zwielicht wie nasse Schemen. Die meisten waren mit Einkaufstüten beladen. Die Straßenbahnen waren überfüllt, und die Scheiben waren beschlagen. Gegenüber dem Hotel lag ein großer quadratischer Platz, der an drei Seiten von sozialistischen Betonpalästen flankiert war. An der vierten Seite standen zwei Wachposten vor einer Gedenkstätte, wo eine ewige Flamme im

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