Die guten Schwestern
schmeckte fade, so wie die Einrichtung fade war und gleichzeitig furchtbar effizient und seltsam fremd. Ein junger Mann mit kurzgeschorenen Haaren kam herein und setzte sich an die Bar. Er hatte eine schwarze Lederjacke an und einen Ring im Ohr. Er bestellte ein tschechisches Budweiser und ließ den Blick über das Restaurant schweifen. Einen Augenblick lang ruhte er auf Samsons Halbprofil und auf Toftlund und glitt dann gleichgültig weiter. Er steckte sich eine Zigarette an und zog träge ein Handy aus der Jackentasche. Noch ein tschechischer Rabauke, dachte Toftlund und wartete ungeduldig auf die Story, für die er mit einer Mahlzeit bezahlte. Aber Samson erzählte erst einmal von den Männern mit der Blondine. Es waren bekannte Gesichter aus der Unterwelt, der Mafia, standen aber im Begriff, ehrenwertere Geschäftsleute zu werden. Auch sie waren ein Teil des neuen Tschechien. Es war ein Typus, der im gesamten ehemaligen Ostblock anzutreffen war. Wie die Fische im Wasser schwammen sie in dieser sonderbaren Mischung aus Plan- und Marktwirtschaft, in der die Regeln dazu da waren, umgangen zu werden. Die neuen Ritter der dollars and deals, wie Samson es mitten in seinem perfekten Deutsch auf englisch ausdrückte.
»Sie haben doch noch eine andere Geschichte zu erzählen«, sagte Toftlund, als das Hauptgericht schon fast aufgegessen war. Sie hatten beide einen guten Appetit. Samson aß mit offensichtlichem Genuß. Toftlund war in der Regel immer hungrig und aß, was ihm vorgesetzt wurde. Hauptsache, es gab Fleisch und Kartoffeln. Die feineren französischen Kochkünste sagten ihm nicht sehr zu. Da stand man immer vom Tisch auf, ohne richtig satt geworden zu sein.
»Ich glaube, ich möchte ein großes Eis und dann Kaffee«, sagte Samson, als wäre er ein Kind, das mit seinem Vater in der Stadt war, aber dann fing er endlich an. Toftlund zog seinen kleinen Block und einen Kugelschreiber aus der Tasche und blickte Samson fragend an, der ihm zunickte. Es war eine faszinierende Geschichte, die er so gut erzählte, daß Toftlund ihn kaum mit Zwischenfragen zu unterbrechen brauchte.
»Ich muß Sie zunächst ein wenig mit der Geschichte langweilen. Jugoslawien wurde Anfang 1941 von Hitlerdeutschland besetzt. Sehr spektakuläre Fallschirmspringeraktion. Die Serben gingen in den Widerstand. Die Kroaten unterstützten mehrheitlich die Besatzungstruppen. Sie waren Mitglieder der Ustascha, einer faschistischen, nationalistischen Bewegung, die die Serben haßte. Aber nicht alle Kroaten waren dabei. Denken Sie daran, daß Tito Kroate war. Und Tito organisierte den Widerstand. Und zwar ebenso effizient wie brutal. Aber die deutschen Besatzer waren genauso brutal und wurden nur noch von ihren Handlangern von der Ustascha übertroffen. Hier galt das biblische Wort ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹. Mittendrin standen die italienischen Truppen, die recht widerwillig an der Besetzung teilnahmen. Aber glauben Sie mir, Herr Toftlund, es war ein blutiger und brutaler Partisanenkrieg, der da auf dem Balkan stattfand. Damals wurde der Samen des Hasses gesät, der, wie Sie wissen, nur darauf wartet, jetzt in den neunziger Jahren aufzugehen.«
Er machte eine Pause, als die kleine mollige Bedienung ihre Teller abräumte und die Bestellung für Samsons Eis und den Kaffee für beide aufnahm. Toftlund hatte eine ungenießbare Plörre erwartet, aber es war ein guter und starker und heißer Espresso, der angenehm nach guten Bohnen duftete.
Samson fuhr fort:
»Es war die reinste Hölle mit Mord, Hinichtungen, Verhaftungen, Folter, Zerstörung von Dörfern, Angriffen aus dem Hinterhalt, Verrätern und Doppelagenten. In diese Hölle kam eines Tages im Jahr 1943 eine Gruppe Dänen. Sie waren Soldaten der Waffen-SS.«
»Dänen während des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien. Das wußte ich nicht. Bis vor kurzem jedenfalls.«
»Nein. Die meisten Völker entscheiden sich für den heroischen Teil ihrer Geschichte. Die Version der Sieger. Die meisten Menschen ziehen den Mythos der Wahrheit vor. Es gibt gewisse Dinge, die die meisten am liebsten verdrängen oder in den staubigen Bibliotheken der akademischen Welt vergraben würden.«
»Wer waren diese Menschen?«
»Ganz gewöhnliche Dänen. Aber eben auch Offiziere, gemeine Soldaten oder Befehlshaber in Himmlers Stoßtrupps. Einige kamen nach einem Ausbildungslager in Deutschland direkt aus Dänemark nach Kroatien, andere hatten schon ihre Feuertaufe an der Ostfont hinter sich. 1943 organisierte man
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