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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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richtig entfalten sollte.
    »Eigentlich gibt es jetzt nicht mehr viel zu erzählen, denn der Bericht weist nun Löcher auf«, sagte Samson nach einer Weile. »Die Division Nordland mit dem Regiment Dänemark und Pedersen wurde bei Oranienburg, nicht weit von Leningrad, eingesetzt. Das war im Dezember 1943, der Anfang vom Ende. Wir wissen, daß Pedersen am Rückzug nach Narva teilnahm, daß er einmal auf Heimaturlaub in Dänemark war und daß er dann desertierte. Wir wissen nicht, wie er es geschafft hat, aber er tauchte zu Beginn des Frühlings in dem Dorf auf, wo der Bäcker inzwischen gestorben und die Tochter zu Tito übergelaufen war. Wie er es also geschafft hat, von der Front oder aus Dänemark nach Jugoslawien zu kommen, wissen wir nicht. Er hat es nie gesagt. Nur daß er gewandelt ist, durch Polen, die Slowakei, weiter durch Ungarn bis nach Kroatien. Er ist nachts unterwegs gewesen. Manchmal wurde ihm von Leuten geholfen, die ihn für einen Partisanen hielten. Oder weil sie verstanden hatten, daß er Deserteur war. Oder vielleicht einfach, weil es überall gute Menschen gibt. Jedenfalls kam er eines schönen Tages im Frühling in das Dorf und setzte sich ins Café. Als hätte er nur einen kurzen Spaziergang gemacht. Er ähnelte einem heruntergekommenen Landarbeiter. Er war sehr dünn und hatte zwei Zähne verloren. Seine Freundin mußte etwas erfahren haben, denn sie fand ihn. Sie wollte ihn finden, damit er seine neugeborene Tochter sehen konnte. Warum wurde er nicht erschossen? Wer weiß? Hielt sie ihre Hand über ihn? Vielleicht hatten bloß alle die Nase voll von dem Gemetzel. Vielleicht rettete ihm auch die simple Tatsache das Leben, daß er Bäcker war und das Dorf einen brauchte. Er blieb ein halbes Jahr, der Krieg war zu Ende, dann verschwand er so plötzlich, wie er gekommen war. Anfang der fünfziger Jahre tauchte er wieder auf und blieb bis zu seinem Tod. Er war überall als der Bäcker bekannt. Nichts anderes. Vielleicht als der Bäcker mit der hübschen Tochter, die für die Namenlosen in Belgrad arbeitete. Die Vergangenheit interessierte niemanden. Alle hatten eine Vergangenheit.«
    »Eine unglaubliche Geschichte«, sagte Toftlund. »Woher kennen Sie die ganzen Einzelheiten?«
    »Weil einer der Freiwilligen aus seiner Kompanie mein Vater war. Der Sudetendeutsche. Mein Vater erzählte mir die Geschichte vor sechs Jahren, kurz bevor er starb. Ich mußte versprechen, der Tochter zu helfen, wenn sie Hilfe nötig hätte. Weil ihm der Däne an der Ostfront mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Weil sie zusammen desertiert waren, auch wenn sie schnell getrennt wurden. Weil er das Gefühl hatte, es dem Dänen zu schulden. Weil sie beide das schreckliche Geheimnis von den kroatischen Frauen und Kindern in der brennenden Kirche teilten.«
    »Wie bekamen sie nach dem Krieg Kontakt?«
    »Diese Menschen kennen sich, Herr Toftlund.«
    »Das alte nazistische Netzwerk.«
    Samson lachte fast zu laut. Zwei der Mafiosi starrten zu ihrem Tisch herüber, und die Blondine schlug träge ein Nylonbein über das andere.
    »Nein, Herr Toftlund. Nichts könnte falscher sein. Es sind keine Nazis. Der Nazismus ist, Gott sei Dank, tot. Die, die man Neonazis nennt, sind eine Horde frustrierter, rassistischer, geschichtsloser Burschen, die in ihrem Minderwertigkeitsgefühl glauben, sie könnten sich auf eine große Idee berufen. Nein, die andern sind alte Kameraden, die einander helfen, weil sie eine gemeinsame Geschichte haben, die sie nicht mit anderen teilen können.«
    »Nun dürften sie ja bald alle tot sein.«
    »Das stimmt, aber ihre Kinder leben, und deshalb bitte ich Sie, der Frau zu helfen. Sie brauchen es nicht gratis zu tun. Sie hat etwas für Sie, das Sie gebrauchen können. Sie kommt nicht mit leeren Händen.«
    »Was soll sie bekommen?«
    »Asyl, Aufenthaltserlaubnis, Schluß mit der Vergangenheit, Frieden auf ihre alten Tage.«
    Toftlund schwieg, dann sagte er:
    »Das ist etwas, was ich nicht entscheiden kann.«
    »Dänemark ist ein offenes und liberales Land.«
    »Nicht mehr«, sagte Toftlund. »Aber ich glaube, ich kann es versprechen. Wenn ihr Mitbringsel interessant genug ist, können gewisse Vorschriften außer Kraft gesetzt werden. Das wurde schon früher so gehandhabt. Mehr kann ich hier und jetzt nicht versprechen.«
    »Das muß erst mal reichen.«
    »Wo ist sie? Und wie heißt sie?«
    »Ich weiß nicht, wo sie ist. Sie ist auf der Flucht. Aber vielleicht kann ich es herauskriegen. Sie hat viele

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