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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Balkon, Ginka, Hans und Isabelle waren in der Küche, für einen Januarabend war es ungewöhnlich mild, und Andras rauchte, er zog nervös an der Zigarette, der vierten an diesem Abend. Magda erwartete ihn in zwei Stunden. Er zögerte, ihr abzusagen, zögerte, sie in die Wartburgstraße einzuladen. Er wollte nicht gehen, es würde einer der letzten Abende sein, die sie hier verbrachten. Er wollte Zeit gewinnen. Jakob schien erschrocken, als er ihn nach Bentham fragte.
    –Schwer zu beschreiben, sagte Jakob schließlich, er ist nicht sehr groß, dicklich, mit zu kurzen Beinen für einen zu kräftigen Oberkörper, tadellos gekleidet, vielleicht eitel, sicher sogar eitel, obwohl es ihn offenkundig nicht kümmert, wie die Kanzlei aussieht, nämlich schäbig. In seinem Zimmer hängt ein Bild von Lucian Freud, kennst du ihn? Mit weißen Blumen, ich weiß nicht, was für welche das sind. Alistair hat erzählt, daß Freud ihn porträtiert hat. Ein großes Gesicht, eines von diesen Gesichtern, die ein bestimmtes Gewicht haben, die Nase, die Augenlider, alles hat ein Gewicht von soundsoviel Gramm, weißt du, was ich meine? Jakob errötete. Bentham war weder freundlich noch unfreundlich gewesen, oder doch freundlich, aber keineswegs überschwenglich. –Er ist so anders als Schreiber, ich habe jemanden wie ihn noch nie kennengelernt.
    –Ist er Jude?
    Jakob starrte Andras verblüfft an. –Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Alistair hat gesagt, er sei als Kind nach England gekommen. Wieso meinst du? Andras zuckte mit den Schultern. Drinnen deckte Isabelle den Tisch. Sie schaute nicht zum Balkon, Andras sah, wie ihr Oberkörper sich bog, die Arme sich streckten, wie sie sich aufrichtete. Sie trug eine enge grüne Bluse und eine schwarze Jeans, die Füße steckten in dicken Socken. –Vielleicht deshalb, weil mich hier nie jemand gefragt hat, außer Hanna. Auch seltsam. Oder nicht, wer weiß.
    –Bist du jüdisch? Jakob lehnte am Balkongitter und schaute auf die Straße hinunter.
    –Ja, schon immer.
    –Aber warum hätten wir dich fragen sollen?
    –Weil mein Onkel und meine Tante emigrieren konnten, weil ich die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen habe, weil viele Juden aus Ungarn emigriert sind. Andererseits, klar, warum hätte mich jemand fragen sollen?
    Für einen Augenblick sah Jakob Bentham vor sich, wie er aus dem Sessel aufstand, näher trat, sah ihn zwischen Maude und Alistair stehen, die winzige Geste, mit der Maude über Benthams Ärmel strich, und Alistairs Gesicht, in dem sich Lebhaftigkeit und Spott mit Zuneigung mischten.
    Er dachte an den 11. September vor anderthalb Jahren, an seine hilflose Aufregung, die mit New York nichts zu tun hatte, an Bushs Rede, nichts, wie es war . Nichts hatte sich verändert. Es gab Schläfer, es hatte den Afghanistan-Krieg gegeben, es gab zerstörte Häuser, verbrannte Menschen, hastig beerdigte Tote und in unwegsamen Bergen weiter Taliban- oder Al-Qaida-Kämpfer, Namen und Dinge, die für sie hier nicht mehr bedeuteten als die Verwicklungen und Dramen einer Fernsehserie, über die alle sprachen, wie sie über Big Brother gesprochen hatten. Und jetzt sprachen sie alle über den Krieg im Irak. Wie viele Tote hatte es im letzten Irak-Krieg gegeben? Zigtausend, Jakob erinnerte sich an die Panikkäufe in Freiburg, Leute, die allen Ernstes anfingen, Konserven, warme Decken zu horten und Lichterketten veranstalteten gegen den Krieg, während auf Israel Raketen abgeschossen wurden. Der 11. September war inzwischen nichts als die Scheidelinie zwischen einem phantasierten, unbeschwerteren Vorher und dem ängstlichen, aggressiven Gejammer, das sich immer weiter ausbreitete. Nur für Roberts Eltern, dachte Jakob, hatte sich alles geändert, und für ihn selbst. Er hatte Isabelle gefunden, er würde nach London gehen.

17
    Ärgerlich stieg Jim über leere Gemüsesteigen und Styroporkisten, die nach Fisch stanken, stolperte fast über eine Katze, die hinter einem Karton hockte, grau getigert, starrte sie einen Moment lang an, bückte sich dann und kraulte sie. Vorsichtig tastete er nach ihrer Kehle, strich sanft über Hals und Brust, das Tier, das erst erstarrt war, entspannte sich, stand still, den Schwanz hochgereckt, ohne zu schnurren. –He, warum schnurrst du nicht? Er wollte sie hochheben, aber an ihrem Bauch klebte etwas Feuchtes, Dreck oder Blut, die Katze stieß einen Schmerzenslaut aus, Jim fluchte. Er richtete sich auf, von der Brixton Road hörte er den Lärm, Autobusse,

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