Die Habenichtse: Roman (German Edition)
einem Handkarren kam, schüttelte seine Glocke, sammelte Sperrmüll ein, verkaufte vielleicht auch, und Isabelle überlegte, was sie ihm mitgeben könnte, nächstes Jahr, in zwei Jahren, wenn genug Zeit verstrichen war. Ja, Jakob war dünner geworden, das Gesicht war dünner. Sie betrachtete ihn von der Küche aus, er stand in der Tür zum Eßzimmer, scheinbar nachdenklich, hielt etwas in der Hand, ein Billett, eine Notiz. –Es wäre albern, sich zu sorgen. Oder möchtest du zurück nach Berlin?
Anscheinend hatte sie allzu fest an dem Hühnchen gezogen, es knackte, der Flügel brach, drehte sich aus dem Gelenk, sie zuckte zusammen, als wäre es ein Stromstoß, das Geräusch, seine Frage, die er noch einmal wiederholte, von draußen hörte man eine Sirene sich entfernen. Wollte sie zurück nach Berlin? Sie war sich nicht sicher. Es gab etwas, das sie erwartete, hier. Das Polizeiauto war umgekehrt, die Sirene näherte sich wieder. –Ist dir aufgefallen, sagte Isabelle, wie oft sie das machen, die Polizeiautos, meine ich? Erst fahren sie in die eine Richtung und ein paar Minuten später in die entgegengesetzte. Er öffnete eine Flasche Wein. Eigentlich tranken sie jeden Abend, Cider oder Wein, seit Freiburg, in Berlin und auch hier. Sie würden einander gegenübersitzen, zu zweit, und Hühnchen essen, Rotwein trinken, den sie überall kaufen konnten, so wie sie sich überall ein Zuhause schafften, in Berlin, in London. –Es geht alles so schnell, hatte ihr Vater gesagt, als sie ihm den Umzug ankündigte. Ich meine, sogar wenn ihr heiratet, sogar wenn ihr umzieht in ein anderes Land, hat es keine allzu große Bedeutung. Er hatte ihr ein bißchen leid getan, denn eigentlich hätte er sie gerne in Berlin besucht.
Sie wußte nicht, woran Jakob dachte, wenn er abwesend wirkte, vielleicht an die Eisenbahngesellschaft, wie er es nannte, die ein Mandant kaufen wollte, vielleicht war das eine bedeutsame Sache, wichtiger als Miller mit seiner Villa in Treptow.
Sie saßen am Tisch, sie aßen. –Es wird eine große Demonstration geben, sagte Isabelle, und Jakob fragte zerstreut, ob sie daran teilnehmen wolle. Noch immer hatte Isabelle keine Schuhe gekauft. Und dann gingen sie noch einmal aus dem Haus, die Lady Margaret Road hinunter, kühler Wind erhob sich, die Platanen sahen aus wie alte Tiere, die nichts mehr zu erwarten hatten. In einer Gartenwohnung bemerkte Jakob eine Glühbirne, die nackt von der Decke hing, er wollte es Isabelle sagen, die neben ihm ging, ihren Arm in seinem Arm, wollte sie auf diese Glühbirne hinweisen, und später, sie lagen schon im Bett, dachte er, daß ihr etwas anderes aufgefallen wäre, ein Stuhl vielleicht, eine Jacke über der Lehne, ein Glas auf dem Tisch im Wohnzimmer, denn anscheinend war es das Wohnzimmer.
–Miller will Sie bei Amira treffen? fragte Bentham trokken. Wahrscheinlich will er sich aus der Kaffeetasse lesen lassen. Er wird Sahar fragen, ob seine Zukunft eine Villa in Treptow bereithält, ein neues Leben, einen Neuanfang in Berlin. Seien Sie sicher, er wird Ihnen nicht verraten, was Sahar gesehen hat, und Amira wird lächelnd fragen, ob Sie noch ein Stück Kuchen möchten oder einen Kaffee. Haben Sie es schon einmal gesehen? Diese Kaffeetassen, dies feine Krakelee, die Linien auf dem Rand der Mokkatasse?
–Aber warum finden Sie ihn komisch? fragte Jakob. Er war noch nicht bei ihr, er hat mich nur gebeten, daß ich ihn in Amiras Deli treffe. Es ist sein gutes Recht, glauben Sie nicht?
–Meinen Sie, sich aus der Kaffeetasse lesen zu lassen? Oder meinen Sie die Villa in Treptow?
–Beides, sagte Jakob verwirrt.
Bentham nickte. –Natürlich ist es sein gutes Recht, sagte er tröstend.
Maude kam mit einem Tablett herein, darauf ein Glas heiße Milch, und Alistair streckte seinen Kopf ins Zimmer, neugierig, rief lachend Jakob zu, daß niemand so vollständig einen Rechtsfall zersetzen könne wie Bentham, so, daß nichts übrigbleibe, kein Recht, kein Unrecht. Und Bentham winkte ab, stand auf und ging ans Fenster, das hinter dicken Vorhängen vollständig verborgen war, wie in der Zeit der Verdunkelung, dachte Jakob, aber damals war Bentham ein Kind gewesen.
–Sein Recht, Millers Recht? Natürlich ist es sein Recht. Es ist sein Eigentum, nicht das des deutschen Staates oder der Treuhand oder irgendeines Käufers. Miller wird nach Berlin reisen, sagen Sie? Irgendwann werde ich das auch tun, Schreiber drängt seit Jahren. Aber verloren, verloren hat Miller nichts. Als er
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