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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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entlanggelaufen, an den hoch aufragenden Fassaden vorbei, und dann nach Süden abgebogen. Auf der Baker Street hatte sie einen Kaffee getrunken, um schließlich Richtung Themse zu laufen, über die Waterloo Bridge – der Fußgängersteg war noch nicht fertiggestellt, aber man konnte ihn schon passieren – zur Southbank, am National Theatre vorbei, am National Film Theatre, Buchhändler packten ihre Bücher, ihre Stände zusammen, und sie lief flußabwärts, an den Sandbänken vorbei, auf denen man die Verbrecher, gefesselt, der Flut ausgeliefert hatte. Die Southbank war im Krieg dem Erdboden gleichgemacht worden, aber wer konnte sich das vorstellen, die Bomben, den Blitz, brennende Werften, brennende Häuser? Hier war Tate Modern, riesig, schwarz-braun, fast fensterlos, aber da kamen Damen in Cocktailkleidern aus dem Ausgang, rosa, hellgrün; ein Mann im Anzug steuerte zielstrebig auf Isabelle zu, im letzten Moment erst wich er aus. Die Dämmerung verschwand in der Dunkelheit. London leuchtete gegenüber auf. St. Paul’s Cathedral glitt vorbei. Wie Bullaugen blinkten Fenster über den Fluß. Menschen, Jogger, Paare überholten sie, standen an der Brüstung, betrachteten das Wasser. Zwei Jungen radelten, sprangen im Flug ab, während ihre kleinen Fahrräder Kapriolen schlugen. Hunde strebten vor ihren Leinen und Besitzern vergeblich nach vorn, zwei Kinder waren auch da, ebenfalls an der Leine, mit weißen Geschirren um die kleinen Oberkörper. Jakob und Alistair würden sie um acht oder halb neun Uhr in der Cafeteria des NFT erwarten. Und da war wieder Tate Modern, ein alter Mann stand jetzt davor, murmelte, kämmte sich das Haar, den Kopf schief haltend, dann heftete er seinen Blick auf die Eingangstür, die sich ein letztes Mal öffnete, von einem gedrungenen, dunkelhäutigen Mann mit einem großen Schlüsselbund abgeschlossen wurde. Es war Zeit. Isabelle zog ihren grünen Cordrock gerade, der um neunzig Grad verrutscht war, schaute auf ihre Turnschuhe, hob den rechten, den linken Fuß, schmutziggrau der weiße Stoff, sie würde es nicht länger aufschieben, sondern morgen Schuhe kaufen und eine Decke auch.
    –Da bist du, erfreut erforschten Alistairs grüne Augen ihr Gesicht, während sie sich Jakob zuwandte, ihn küßte, nicht auf den Mund, da er eine ungeschickte Bewegung machte, um auf dem hohen Stuhl das Gleichgewicht zu halten, und seine rechte Hand streckte sich nach ihrer Schulter aus. Sie erwischte die Schläfe. –Wir sollten, verkündete Alistair, in das Konzert von John Adams, John Zorn und John Woolrich gehen. –Wo? fragte Jakob ohne Interesse. Alistair studierte das Programm, –es hat schon angefangen, sagte er dann, die beiden Männer schauten Isabelle an. –Mir gefällt es hier, sagte sie, aber sie war vage enttäuscht. Als sollte nie etwas passieren, dachte sie, und Jakob löste den Knoten seiner Krawatte, stand auf, um ihr einen Cider zu holen.
    Als sie später in Charing Cross auf die Northern Line warteten, sah sie auf den Gleisen Mäuse, rennend, hinter den gewölbten Plakatwänden hervorrutschend, schwarze Mäuse, die grau wären, sagte sie zu Jakob, wenn man sie waschen würde, unruhig hielt sie nach dem Zug Ausschau. Aber den Mäusen würde nichts zustoßen, noch nie war ihnen etwas zugestoßen, dachte Jakob ungeduldig. Verstimmt stieg er in Kentish Town Station aus, er hatte versucht, sie zu küssen, und sie mußten, weil wieder die Rolltreppe kaputt war, alle einhundertfünfundsiebzig Stufen hinauflaufen. Oben, an der Glasscheibe zur Straße hin, hingen zwei Poster, eine Vermißtenanzeige und ein Aufruf an etwaige Zeugen eines Überfalls, der tödlich geendet hatte. –Aber das war ja gestern! rief Isabelle aus, während Jakob das Mädchen auf dem anderen Poster betrachtete, eine junge Frau, jünger als Isabelle, und doch, es berührte ihn merkwürdig, das zu sehen: die Gesichtszüge auf dem Foto ähnelten Isabelles, kein Zweifel. Vermißt, seit einem Jahr vermißt, las er, Mae Warren, sechsundzwanzig Jahre alt, ein Meter neunundsechzig groß, dunkelblonde Haare, keine besonderen Kennzeichen. Er wandte den Kopf, um Isabelle, den Leberfleck auf ihrer Wange anzuschauen, aber sie war schon weiter, stand in der Tür, bereit hinauszugehen, trat dann auf die Straße und ging ein paar Schritte, so daß er sie nicht mehr sehen konnte.

    Die kleinen, überflüssigen Dinge fehlen hier, dachte Isabelle, während sie abstaubte. Neben der kleinen Stereoanlage standen etwa zwanzig CDs, auf der

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