Die Habenichtse: Roman (German Edition)
sie schon ein paarmal in der Lady Margaret Road gesehen hatte, Jim, ein gutaussehender Mann, jünger als sie, mit einem schmalen Gesicht und einem hübschen, etwas harten Mund. Er hatte sich, ohne zu fragen, zu ihr gesetzt und gefragt, wie sie heiße. –Ich wollte nur wissen, wie du heißt, falls wir uns noch einmal treffen, hatte er gesagt und war gleich wieder gegangen.
Sie mailte Peter die Entwürfe für den Prospekt einer privaten Kindermusikschule. –Bist Du schwanger? mailte er zurück, Du machst ja fast nur noch Kindersachen. Von Andras hatte sie seit ein paar Tagen nichts mehr gehört.
Sie tuschte dem Mädchen mit den langen Haaren einen roten Rock, als nebenan der Lärm wieder anfing, etwas gegen die Wand schlug, eine erregte Stimme laut wurde, und dann, ein paar Augenblicke später, während sie die grünen Strümpfe ausmalte, vollständige Stille. Vom Dach des gegenüberliegenden Hauses flatterte der Rauch, und vielleicht war es ein dünnes Weinen, was sie dann hörte. Vorsichtig legte sie die Feder beiseite und richtete sich leise auf. Sie scheute sich aufzustehen, als würde sie damit unterbrechen, was seinen Gang gehen mußte. Es war wieder still. In ihrer Wohnung klapperte eine Tür, das war der Wind, es zog selbst dann, wenn sie alle Fenster geschlossen hatte.
Drei Tage später traf sie Jim, als sie auf dem Weg nach Hampstead Heath war. Er stand vor der alten Feuerstation, die inzwischen eine Diskothek war, kanzelte einen Jungen ab, der ihn anzubetteln schien. Ohne zu fragen, wohin sie ginge, lief er neben ihr her, nahm sogar ihren Arm, kaufte in einem Kiosk eine Flasche Cola. Er trug ein weißes Hemd, Jeans. Im Park führte er sie in das Wäldchen nahe dem Lady’s Pond, nahm ihre Jacke, breitete sie auf einer Bank aus. Die Art, wie er sie ausfragte, war beinahe rüde. Er ließ sie aus der Flasche trinken, trank selbst. Dicht nebeneinander saßen sie, sein Gesicht war ihr zu nahe, er hatte lange Wimpern, er wußte, daß er gut aussah. Ein bißchen zu sehr wie eine Zigaretten-Reklame, dachte sie. Dann sprang er auf, zog sie an der Hand mit sich in ein Gebüsch nahe am Teich, schob die Zweige mit den noch zarten Blättern auseinander und zeigte ihr drei etwa fünfzigjährige Frauen, die sich nackt ins noch kalte Wasser vortasteten, kichernd, die zu dicken Arme um die schlaffen Brüste geschlungen, die plumpen Hintern nach hinten gestreckt. Er beobachtete Isabelle grinsend; sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie spürte, wie er sie musterte. Einen Moment fürchtete sie, er würde ihr befehlen, sich auszuziehen. Es war erregend, und sie hatte Angst. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, stolperte, als er loslachte, aber dann drehte er sich um und ging zum Weg zurück, summend, die Hände in den Hosentaschen, ohne ihre Jacke oder die Colaflasche aufzuheben. Dort wartete er, sie fühlte sich, mit der Jacke überm Arm und der Flasche in der Hand, beschämt. Er stand im Halbschatten, verzog keine Miene, als wäre sie nicht mehr als ein heller Fleck. In seinen Augen lag etwas Kaltes, sie stolperte, der Boden war uneben, voller dicker Wurzeln und Schlaglöcher. Sie wußte, daß sie ihn nicht überreden könnte zu bleiben, und er ging wirklich, drehte sich nicht mehr nach ihr um, und als sie aus dem Wäldchen ins Freie gelangt war, sah sie ihn in einiger Entfernung weiter unten, am Rand des Parks, durch eine Horde Schüler gehen, die vor ihm zurückwich und den Weg freigab, nur einer sprach ihn an, und Jim nahm den schlaksigen Jungen mit, der in den Händen unruhig einen Pullover knetete. Es gab ihr einen Stich. Sie brachte die halbvolle Cola-Flasche zu einem Papierkorb. Aber sein Geruch, Jims Geruch, blieb und ließ sich nicht abschütteln.
Wieder in der Wohnung, saß sie eine Weile vor dem Computer und scannte einige ihrer Zeichnungen. Zwei Geschwister liefen auf den Winterfeldtmarkt und kauften gestreifte Bonbons für das Mädchen, das von zu Hause weggelaufen war und jetzt auf einem Spreekahn bei dem Kapitän lebte, der schließlich die Mutter des Mädchens heiraten würde. Aber noch stand das Mädchen alleine in der Dämmerung an Deck des Kahns unter einer Wäscheleine, auf der die Küchenhandtücher flatterten, und wartete, ob seine neuen Freunde auf der Brücke auftauchten. Jakob rief an und sagte, daß er spät nach Hause kommen würde. Peter rief an und fragte nach dem Kostenvoranschlag für einen Buchprospekt. Alexa rief nicht an. Andras schrieb eine kurze, technische Mail – er
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