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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Tresen und lächelte ihn an. –Denkst du an deine kleine Freundin? Jim sah sie kurz an, antwortete nicht. Hinten klingelte wieder der Spielautomat. Der Mann, der ihm das Geld ausgehändigt hatte, war vermutlich schon vierzig Jahre alt, ein massiger Kerl mit schlechter Haut und unstetem Blick. Jim drehte das Glas hin und her. Mit dreizehn Jahren hatte er sich vorgenommen, von zu Hause wegzulaufen, das war jetzt dreizehn Jahre her. Er hatte an London geglaubt, das war es gewesen, was ihm die Kraft gegeben hatte, mit sechzehn schließlich wegzulaufen. Aber es war ein Schock gewesen, anzukommen und vor dem Bahnhof zu stehen, nach all dem, was er sich ausgemalt hatte, ein Leben, das frei und wild war. Mit Mae wäre er aufs Land gezogen. Er mußte Albert loswerden und Mae finden und genug Geld haben. Aus der Küche kam Essensgeruch, eine Treppe, die mit einer Kordel abgesperrt war, führte in den ersten Stock. Noch immer das enervierende Klingeln des Spielautomaten; Jim drehte sich um, lief in den hinteren Raum, stieß den Jungen, der vor dem Automaten stand und ihn erschreckt anstarrte, so heftig, daß er hinschlug. –Hörst du jetzt endlich auf, du kleine Ratte? Die Kellnerin rief, –Gigi, hau ab, näherte sich, lächelte Jim an. Ohne ein Wort rappelte sich der Junge hoch und verschwand. Jim spürte, wie die Frau ihn abwartend anschaute. Nicht sein Typ, sah er, als er sich umdrehte, eine braunhaarige, füllige Person mit einem stark geschminkten Gesicht, das immerhin vertrauenerweckend aussah. Und das war also Holloway, wie ein schlechter Geruch, dachte er, aber sie hatte geduscht, ihr Haar roch frisch gewaschen, viel dickeres Haar, als Mae es hatte, er faßte es an, was sie geschehen ließ, dann lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter, freundlich, auf eine so selbstverständliche Art, lächelte ihn an. Es war angenehm wie ein handfester Gegenstand, ein greifbares Wohlbefinden, ihre Hand tastete nach seiner, hielt seine Hand einen Moment fest und ließ sie los, um sich dichter an ihn zu schmiegen, ihn in einen kleinen Seitenraum zu drängen, sachte, zwischen Putzeimer und einen Staubsauger, eine kleine Kammer mit dicker staubiger Luft, kein Platz, sich hinzulegen, aber sie war geschickt und zärtlich, so daß er alles vergaß und dann verwundert ihre Lippen spürte, einen sanften, freundlichen Kuß. –Träumer, sagte sie. Die Straße war hell, und nach zweihundert Metern nahm er den Lärm wieder wahr, das Mißtrauen in den Augen, die ihn musterten, eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Seite wich ihm aus, die Luft roch sommerlich, es hatte geregnet, an den Ästen eines Bäumchens glitzerten Tropfen, und ein Kind rannte auf ihn zu, wich im letzten Moment aus, den Luftzug spürte Jim, beinahe die Wärme des kompakten Körpers. Er stolperte, da lag mitten im Weg eine Plastiktüte, die etwas verdeckte, er schob das Plastik mit dem Fuß zur Seite, sah ein Stückchen Fell, eine Ratte, und in all dem lärmenden, hupenden, trostlosen Verkehr blieb er hilflos stehen, während kühler Wind aufkam, Regen seinen Anorak durchnäßte.

    Er erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal krank gewesen war, richtig krank, nicht weil er betrunken war oder wegen irgendwelcher Tabletten, sondern mit Fieber, fiebrig schwitzend wie ein Kind. Jede Berührung schmerzte, als wäre die Haut durchsichtig, durchlässig, könnte die Nerven nicht länger schützen, und gleichzeitig war sie wie ein Panzer, in den er eingesperrt war. Er raffte sich auf, kochte Tee, im Küchenschrank ein einziges Durcheinander, Sachen von Damian, die er ein Jahr nicht angerührt hatte, ein Glas verschimmelter Marmelade, Konserven, schmutziges Geschirr, er rauchte, hustete, das Fieber stieg, und schließlich lag er auf dem Sofa, konnte, als Dave rief und klingelte, nicht aufstehen, hörte hilflos, wie Dave seinen Namen rief, wie Dave die Stufen wieder hinaufstieg und ging. Schlief ein, wachte auf, zu schwach, aufzustehen und zu essen, etwas Reis zu kochen, der auch im Schrank gestanden hatte, aber er konnte nicht aufstehen, er konnte nicht, und was er sah, war in Fetzen gerissen, das Wohnzimmer, die Küche in der Field Street, auf dem Herd richtige Töpfe, und wie Mae ihn auslachte, von den Toten faselte und ihn auslachte, der schwitzte und Schmerzen hatte.
    Über der Heizung bewegten sich schwarze Schatten, die junge Frau lief vor dem Fenster vorbei und suchte nach ihm, und wenn er sich konzentrierte, konnte er sie zwingen, sich umzudrehen und ihr Gesicht zu

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