Die Habenichtse: Roman (German Edition)
gemein.
La´szlo´ hatte ihn überredet, drei Wochen wenigstens in Budapest zu verbringen, –deiner Schwester, deinen Eltern zuliebe. Morgen würden sie fliegen.
Im Büro fand er eine Mail von Isabelle. Unser Nachbarskind habe ich heute zum ersten Mal auf der Straße gesehen, im Schlepptau ihres Vaters. Es war wie eine Szene aus einem Ken-Loach-Film. Sie hat strähniges Haar und ist sehr blaß. Ihr Vater ließ sie auf der Straße stehen und rannte wutentbrannt weiter, ich habe nicht verstanden, was er gebrüllt hat. Er brüllte, und ich stand am offenen Fenster, so wie Du es oft tust. Das ist London, für mich, dazu natürlich Jakob und alles, was wir mit Alistair unternehmen. Plötzlich hatte ich Sehnsucht nach der Dircksenstraße, und dabei ziehen wir wirklich um, schreibt Peter. Hans hat den Vertrag gefaxt. Peter schreibt auch, daß du nach Budapest fährst. Gute Reise, Isabelle.
Abends traf er vor seiner Wohnungstür Herrn Schmidt, wartend, aufgerichtet und sehr verlegen. –Hören Sie, Ihre Freundin war hier, sagte er Andras, so leise, als wäre es ein Geheimnis. Mit den roten Haaren, Sie wissen schon. Dann verbeugte er sich leicht und stieg die Treppen hinauf, bevor Andras etwas erwidern konnte.
Eine Nachricht hatte Magda nicht hinterlassen. Langsam packte er Hemden und Wäsche und Hosen in einen Koffer, und bevor er sich schlafen legte, stellte er den Wecker. Um acht Uhr sollte La´szlo´ ihn abholen.
27
Der Pianist hatte abgesagt und jemand anderes sprang für ihn ein; ein älterer Mann, der ungepflegt wirkte, sagte es ihnen am Eingang, einer der Alten, die in der Gegend, in einem der Häuser des sozialen Wohnungsbaus, wohnten und sich über das billige Konzert und eine Tasse Tee freuten. –Aber der Tee ist lausig, flüsterte Jakob Isabelle zu, den Plastikbecher vorsichtig auf dem Handteller balancierend. Sie stellten sich an den Rand der Eingangshalle, betrachteten die schäbigen Wände, den abgetretenen Fußboden, das hinund herströmende Publikum, regelmäßige Gäste die meisten, so schien es, die lächelten und nickten, zwischen Krücken und Rollstühlen, und dazwischen leuchtete eine Frau im hellroten Kleid, mit einem violettfarbenen Fächer. Jakob und Isabelle weckten das Wohlwollen der anderen, sie waren die Jüngsten, sie standen dicht nebeneinander wie Kinder, die sich in eine Versammlung Erwachsener eingeschlichen haben, amüsiert, erwartungsvoll. Man lächelte ihnen zu, grüßte sie mit einem Kopfnicken, anerkennend, daß sie hier waren, in der Conway Hall, ein Mann nickte heftiger, um seine Freude auszudrücken, junge Leute, die sich für Musik interessierten, und die beiden glänzten zwischen den schlaffen, schlecht gekleideten Körpern, den Armen voller Altersflekken, dem dünnen Haar, den fetten oder igelmageren Beinen, –wie in einem Fellini-Film, flüsterte Jakob und zeigte auf ein Paar dick geschwollener Füße, bläulich verfärbt, in Sandalen. Sie hatten am Nachmittag, bevor sie zur Conway Hall aufgebrochen waren, miteinander geschlafen, und als sie aus dem Haus gingen, hängte Isabelle sich bei Jakob ein. Es war Sonntagnachmittag, sie fuhren bis zur Warren Street und stiegen aus, um durch die stillen Straßen bis zum Red Lion Square zu laufen, –wie still es ist an einem Sonntag, sagte Isabelle zu Jakob, alle halten ihren Mittagsschlaf, die ganze Stadt so friedlich, und Jakob nickte, aber sie gingen gerade an einer der Videokameras vorbei, und hier war das Neue Europa, überwacht, vorbereitet, zählte die Tage, dachte Jakob, er legte seinen Arm um Isabelle. Waren sie in Sicherheit? Ja, sie waren in Sicherheit, an einem Sonntagnachmittag, auf dem Weg zum Red Lion Square, der abseits lag, so daß sie sich verliefen, vorbei an der Red Lion Street, und in den verlassenen Straßen – niemand, den man fragen konnte – umherirrten. Aber es war genug Zeit. Die Bedrohung war noch eine Maskerade, wie Bush auf seinem Kriegsschiff, wie das Ende des Krieges, wollte er Isabelle sagen, etwas, woran wir uns erinnern werden, als wäre es irreal und geschmacklos, aber irgendwann wird das Wirklichkeit werden und uns bedrohen. Sie gingen Hand in Hand. Bentham hatte ihm von der Conway Hall erzählt, wo es Kammermusikkonzerte gab, jeden Sonntag, seit dreißig Jahren oder länger, und jedenfalls war die Conway Hall 1929 eröffnet worden, zu Ehren des frommen Amerikaners Conway, der Geld gestiftet hatte, der die Welt verbessern wollte, und deswegen gab es jetzt die Konzerte für drei Pfund, dazu
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