Die Habenichtse: Roman (German Edition)
mehr als das hier, sagte Onkel Janos zu Andras, du verstehst das nicht, du wartest, so wie ich gewartet habe. Er lachte, hoffentlich begreifst du es wenigstens rechtzeitig. Andras schüttelte den Kopf, um die Traumbilder zu verscheuchen. Händler packten das Obst, die ersten Wassermelonen, wieder in ihre Kisten, rollten sie davon in hohen Eisengestellen, klapperten und hörten nicht auf zu rufen, riefen weiter aus, was sie den ganzen Tag lang gerufen hatten, Tomaten, Melonen, billige Auberginen! Ein Kilo Äpfel 39 Cent! Bückten sich nicht nach dem, was auf dem Boden lag, eine alte Frau wartete geduldig in einiger Entfernung darauf, es aufsammeln zu können; Andras wollte ihr fünf Euro geben, sie schüttelte aber den Kopf, sah ihn nicht dabei an. Zwei Jungen rannten aus dem Eiscafe´ gegenüber, der Besitzer hinter ihnen her, schrie aufgebracht, mußte sich nachäffen lassen von den jungen Männern, die vor seinem Cafe´ saßen. Ein Streifenwagen näherte sich, hupte, fuhr weiter. Die Passanten bewegten sich jetzt langsamer, gleichmäßig, verschwammen im allmählich dämmrig werdenden Licht. Vor einer Teestube saßen schweigend ein paar Männer, musterten Andras, und er ging weiter, am Haus vorbei, in dem er mit Tante Sofi und Onkel Janos gewohnt hatte, drehte sich zu spät erst um und blieb nicht stehen. Auf irgendeine Nachricht von Isabelle hatte er doch gewartet, eine Antwort auf seine Mail, einen Gruß wenigstens, ein Zeichen des Fernbleibens, eingeritzt in die so leichte Oberfläche der Zeit. Er lachte auf, über sich selbst und seine Sentimente. Hanna fehlte ihm, sie fehlte ihm wirklich, sie hätte ihm wegen Isabelle den Kopf zurechtgesetzt, Isabelle, die er nicht mehr vermißte, an der er trotzdem hing, auf eine Art, die er nicht recht begriff, und so hatte er Magda verloren. Noch immer hing er an dem unschlüssigen, verwirrten Mädchen, das Isabelle gewesen war, als er sie kennenlernte. Unschlüssig, dachte er, ist mein Leben und ihres auch. Wir wissen, daß es Ursache und Wirkung gibt, aber trotzdem scheint das für uns nicht zu gelten, nicht wirklich. Wie sollen wir dann sagen, ob sich etwas verändert hat oder nicht?
Und die Zukunft mischte sich nicht ins Spiel, sie verwandelte sich in Gegenwart, das war alles. Der Plan, in die Potsdamer Straße umzuziehen, das alte Büro aufzugeben, ließ sich ebenso leicht umsetzen wie die Entscheidung, nicht länger zu malen. Isabelle würde wieder dazukommen oder nicht. Er hatte sich über die Lüge seines Onkels (daß er als Arzt arbeite, aber eigentlich nur Krankenpfleger war) nicht gewundert und nicht über das hingebungsvolle Scheitern seiner Tante. Budapest war, wie er es auch drehte und wendete, verblaßt, ein Schemen, wenn auch auf eigene Weise lebendig, und seine Eltern hatten getan, was sie tun mußten, denn sie glaubten, wenigstens ein Kind zu retten, als sie es dahin schickten, wo sie selbst ermordet worden wären. Alles dumm und ernst. Es war genug entschieden in seinem Leben, und wie ein irrsinnig gewachsener, unliebsamer Gast dehnte sich die Vergangenheit, rekelte sich wie eine alte Katze, lag riesengroß auf Tisch und Bett, die Krallen abgebrochen, doch immer noch eine Masse Fell und Fleisch, die einen fortgetrieben hätten, wenn man gewußt hätte, wohin. –Mein Lieber, zieh hier endlich aus, hatte Magda ihm gesagt, ob nach Budapest oder innerhalb Berlins ist ganz gleichgültig, in diesem Loch verkommst du ja. Es wäre leicht gewesen, zu ihr zu ziehen, er war sicher, daß sie auf seine Frage gewartet hatte, zwei Zimmer und ein Bad für ihn, und abgetrennt, sie würde sich nicht einmischen, wußte er, ihm einen Schlüssel aushändigen zur hinteren Wohnungstür. –Noch eine Möglichkeit, die du ausschlagen kannst? hatte La´szlo´ kommentiert. Und dann war Magda gegangen. La´szlo´ versuchte noch einmal, ihn nach Budapest zu holen, er kam nach Berlin, fünf Kilo schlanker, seit er ins Sportstudio ging: –Direkt über dem Fluß, ein herrlicher Ausblick, Power Walking auf der Stelle, erklärte er grinsend, und daß Andras neue Hemden kaufen müsse. –Schenk die Lederjacke deinem Penner, du siehst fürchterlich aus. Aber es war unmöglich, mit Andras Pläne zu machen. –Worauf wartest du denn noch, was interessiert dich denn? fragte La´szlo´ schließlich verzweifelt. Nichts weiter, nur die ersten warmen Abende, dachte Andras, die Akazien, und daß Isabelle nicht antwortet. Die Vergangenheit interessierte ihn nicht, sie war die riesige
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