Die Händlerin von Babylon
Schiff, das mit der Flut auslaufen wird.«
»Du wirst an meiner Stelle sterben.«
»Also, das werde ich nicht«, widersprach Chloe.
Nein, Chérie, sag es ihr nicht! Cheftu wäre um ein Haar aufgesprungen.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Das hat zu bedeuten, dass du dafür bezahlen wirst.«
Puabi sah Cheftu an. Er drehte verwundert die Handflächen nach oben, eine durch und durch ehrliche Reaktion.
»Ich bin die Ensi.«
»Dann musst du sterben.«
»Nein! Ich werde verschwinden!«
»Unter einer Bedingung«, wandte Chloe ein.
»Das brauche ich mir nicht anzuhören. Ich kann dich ins Grab schicken, ohne dass jemals irgendwer davon erfährt.«
»Sie werden es ganz bestimmt erfahren, weil ich es ihnen verraten werde. Du kannst mich schminken, mich verkleiden und bearbeiten, wie du willst, Puabi. Trotzdem kannst du nicht verhehlen, dass ich eine Narbe habe, und zwar genau hier.« Dabei hob Chloe die kurzen Locken über dem Nacken an. Cheftu sah den langen, gezackten und halb verheilten Riss. »Im Gegensatz zu dir.«
Eine Narbe, wie sie eine Ensi, die doch perfekt, makellos und ohne jede Entstellung sein sollte, auf gar keinen Fall haben durfte.
»Kidu -«, hauchte Puabi. »Sie -«
»Diese Geschichte geht niemanden etwas an«, schnitt Chloe ihr das Wort ab. »Das ist eine Sache zwischen dir und mir. Ich werde dich bloßstellen und sie auf deine Fährte setzen, es sei denn, du versprichst mir etwas, und zwar bei deinem Leben.«
»Was denn? Gold? Juwelen? Du hast schon den En!«
»Eine Schule.« »Eine was?«
»Ein Haus der Tafel für Mädchen.«
»Hast du den Verstand verloren?«
»Mit einem weiblichen Tafelvater. Einer Tafelmutter. Ganz egal wie.«
»Du willst eine Schule?«
»Ganz recht. Ich möchte, dass das Gemeinwesen dafür zahlt und dass jedes Mädchen, das klug genug ist, sie besuchen kann. Ungeachtet ihrer finanziellen Möglichkeiten oder familiären Verbindungen.«
Puabi hätte nicht fassungsloser sein können. Sie starrte Chloe an, als hätte sie einen sprechenden Baum vor sich. »Mehr ... nicht?«
»Schwöre es mir, Puabi.«
»Natürlich. Ich schwöre.«
Chloe zückte eine eng beschriebene Lehmtafel, und Cheftu spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen wegkippte. Keilschrift! Zum ersten Mal erkannte er die Schrift der Vorbabylonier wieder. War dies ihre Epoche, die Zeit, in der sie jetzt lebten? Auf den Schriftstücken, die ihm bis dahin vor Augen gekommen waren, hatte man zwar dieselben Zeichen verwendet, doch sie waren geschrieben worden, ehe die Buchstaben seitlich gekippt wurden. So wie auf Chloes Dokument sollten die Ideogramme während des nächsten Jahrtausends geschrieben werden. So hatte er sie gelernt. Wann war dieser Wechsel passiert?
»Ich habe meine Siegel nicht dabei«, antwortete Puabi ruhig.
»Kein Problem. Die habe ich«, lächelte Chloe. »Hast du schon vergessen? Ich bin Puabi. Du hast schon unterschrieben, ich wollte dir nur eine Abschrift überlassen. Richter Ningal vertritt mich und wird meine Abschrift aufbewahren. Natürlich befindet sich eine dritte Abschrift bereits im Archiv, und die vierte . nun, sollte es notwendig werden, sie vorzulegen, wird das geschehen.«
Cheftu meinte vor Freude fast zu platzen. Seine Chloe, so chloeisch wie eh und je. Mon Dieu, wie er diese Frau liebte!
Chloe lächelte Puabi an. »Du kannst jetzt gehen.«
Puabi starrte Kidu wutentbrannt an, schnappte dann ihre Tafel und stapfte zornig zur Tür. Shama öffnete ihr nicht einmal den Vorhang, sie musste ihn selbst zurückziehen. Alle hörten, wie ihre Schritte draußen verhallten.
»Ob sie mit einem Messer wiederkommt?«, fragte Chloe.
»Dann müsste sie die ganzen Treppen noch mal hochsteigen«, meinte Cheftu. »Ich glaube nicht, dass sie dafür genug Puste hat.«
Einen Schritt voneinander entfernt, standen sie sich gegenüber und schauten sich an.
»Du bist ganz schön ... groß«, flüsterte sie. Ihr Atem ging flach und ein bisschen unregelmäßig.
Kidus Körper - Cheftus Körper - tobte. »Chérie«, sagte er und breitete die Arme aus.
»Warum hast du ausgerechnet mich ausgesucht?«, fragte Chloe leise. Er spürte ihren Atem auf seiner Brust. Sie war hellwach. »Du hättest Asa sagen können, er soll sich eine andere suchen.«
»Nur so kann ich dich überhaupt haben.«
»Tot?«
»Du wirst nicht sterben. Ich habe dir die Pläne der Grabanlage gezeigt. Du kennst den Weg nach draußen.«
»Wenn ich das Gegengift, das Nepenthe und das Gift überlebe.« Sie drehte den Kelch
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