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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Pflichtbewusstsein segnen. Eure Arbeit ist nicht weniger wichtig als das Opfer jener, die heute ihr Leben gegeben haben.«
    Wieder rumpelten Erdklumpen herab - diesmal doppelt so schnell.
    Chloe machte sich vor Erleichterung beinahe ins Hemd. Rührten diese Geräusche womöglich wirklich nur von den Leichen her, so wie er gesagt hatte? Ihr Herz schlug ohrenbetäubend laut. Bloß nicht nervös werden, ermahnte sie sich. Ich darf weder zischen noch schreien oder auch nur Piep machen. Klirrendes Geschmeide ist das eine - aber wenn der Schacht abwärts als Megaphon wirkt, dann könnte er in der anderen Richtung genauso funktionieren.
    Offenbar hatten die pflichtbewussten Priester da oben alle Ohren gespitzt.
    Warum hatte Cheftu nicht irgendwelche Trunkenbolde und
    Taugenichtse für diese Arbeit finden können?
    Sie wagte einen verstohlenen Blick. Der Dreck fiel jetzt ganz langsam. Zwei Doppelstunden - noch vier Stunden würde sie hier liegen müssen. Unter lauter Toten. Um sich dann zwischen ihnen durchzuschleichen, die Truhe beiseite zu schieben und in das Grab darunter zu entkommen.
    Ein Seufzen.
    Chloe hielt den Atem an, während die Priester innehielten, doch dann fielen vier Schaufeln voll Erde herab, eine auf jeder Seite. Der Lichtstrahl von oben wurde dünner. Cheftu würde die Männer die ganze Nacht über beschäftigt halten. Was wirklich gut ist, weil ich bestimmt den Verstand verlieren würde, wenn es länger dauert.
    Denke an Worte. Logogramme und phonetische Zeichen und die siebenhundert anderen Silben, aus denen sich diese Sprache zusammensetzt. Das würde ihren Geist beschäftigt halten, außerdem erleichterte es die Beherrschung dieser Sprache, doch die Symbole musste Chloe zeichnen. Wozu sie sich bewegen musste. Bewegen. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Zwar schaute niemand zu, trotzdem lag sie praktisch wie auf dem Präsentierteller, falls jemand seinen Kopf in den Schacht stek-ken sollte.
    Ihr Körper prickelte wie unter tausend Nadelstichen. Allmählich kehrte das Gefühl wieder.
    Wo in der Geschichte stecken wir; diese Frage sollte sie über Stunden beschäftigt halten. Natürlich gab es unzählige Hinweise, doch sie war absolut hoffnungslos, was Chronologien und Daten anging, sie vermochte sie einfach nicht einzuordnen. Die kegelförmigen Mosaiken wollten sich einfach nicht in ihr Gedächtnis einfügen. Kaum zu glauben, dass an dieser Stelle einst der Irak entstehen würde. Die Soldaten im Golfkrieg hatten nur von Sand, Dünen, Wüstenstürmen und der gnadenlos sengenden Sonne erzählt.
    Sie dagegen hatte das endlose Grün der Obstplantagen und
    Felder gesehen. Natürlich, heiß war es hier, aber es gab Überschwemmungen und Wasser und Bäche und Wachstum. Wann würde das Klima umkippen? Oder wurde es vom Menschen gekippt?
    Ein leises Schluchzen.
    Kam das Geräusch aus Puabi s Gruft? Von einer der an der Wand lehnenden Frauen? Oder von gegenüber, von einer der Leichen, die Cheftu netterweise von ihr abgewandt hatte? Vielleicht kam es ja gar nicht von einer Frau, sondern von einem Soldaten oder Viehknecht? Einer zweiten Frau zur Flucht zu verhelfen, würde vielleicht noch angehen, aber einem Soldaten oder Viehknecht - bei dem Gedanken wurde ihr mulmig.
    Die Erde füllte den Schacht inzwischen zu einem Viertel.
    Jetzt setzten die Krämpfe ein; Ningal hatte sie gewarnt, dass sie unangenehm sein würden und umso schlimmer, da sie sich nicht bewegen durfte. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, und sie war dankbar für das letzte bisschen Drogenwirkung, die es ihr schwer machte, sich zu winden und zu drehen.
    So muss sich eine Frau während einer Geburt fühlen, fuhr ihr durch den Kopf. Phasen mit unvorstellbaren Schmerzen, durchsetzt von Augenblicken der Ruhe. Sie spürte Schweiß über ihre Stirn rinnen und auf ihren goldenen, birkenblattförmigen Ohrring tropfen. Das Ping dröhnte in ihren Ohren, und Chloe wartete auf eine Erwiderung aus der Dunkelheit.
    Ich habe einen Kranz auf dem Boden liegen lassen. Ich habe vergessen, ihn aufzuheben.
    Doch weder Cheftu noch der Priester hatte etwas gesagt, also war das offenbar kein Problem.
    Die Krämpfe verhärteten ihren Rücken, bis sie sich auf die Zunge beißen musste, um nicht hörbar aufzustöhnen. Nach einer Weile verging der Schmerz wieder. Sie schlug die Augen auf und dankte Gott - der Schacht war inzwischen fast zu zwei Dritteln gefüllt.
    Die nächste und letzte Phase des Drogenentzugs war das Juk-ken. Ningal hatte ihr erklärt, dies sei der schlimmste

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