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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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nicht sehen konnte. Weil sie überhaupt nichts sehen konnte. Damit irgendwas glänzte oder leuchtete, war wenigstens ein winziges bisschen Licht vonnöten. In diesem stummen, versiegelten Grab war es dafür zu dunkel.
    Es würde ganz schön dauern, bis sie die Truhe erreicht hätte.
    Ihr gegenüber lag eine Reihe von Leichen, das Gesicht von ihr abgewandt. Also ließ sie sich auf Hände und Knie nieder und tastete nach dem Saum der Gewänder. Ein Leichnam zur Linken, hier, einer zur Rechten, dort. Die Hände fest um das Gewand geschlossen, setzte sie einen Fuß in die freie Fläche dazwischen und richtete sich dann auf. Zaghaft machte sie einen zweiten Schritt. Wieder freier Boden. Noch ein Schritt, dann müsste sie an den Köpfen vorbei sein.
    Der Boden der Grube war uneben, und die Matte war glitschig von . o nein, denk bloß nicht drüber nach, in was du reintreten könntest, mahnte sie sich. Ihr Zeh ertastete eine Lok-ke, und Chloe machte einen Satz nach vorn, auf einen freien Fleck.
    Vorbei an der Reihe von toten Frauen.
    Geräusche waren keine mehr zu hören gewesen - im Gegenteil, die Stille war ohrenbetäubend. In zwei Schritten musste sie den Schlitten erreicht haben, der am Fuß der Rampe stand. Hier überlagerte der Blutgestank den Kotgestank. Auf keinen Fall durfte sie irgendwo reintreten, irgendwelche Spuren hinterlassen. Obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie das in dieser Dunkelheit bewerkstelligen sollte. Mit ausgestreckten Armen beugte Chloe sich vor, um ihre Umgebung abzutasten.
    Noch ein Schritt.
    Wieder vorbeugen.
    Eine Ledersandale.
    War das jetzt der Stallbursche neben der Tür oder der neben dem Schlitten?
    Chloe roch ihren eigenen Schweiß, doch selbst der Angstgestank war angenehmer als die übrigen Gerüche um sie herum. Sie verkniff sich ein erschrecktes Quieken, als sie das behaarte Bein eines Zugtieres ertastete.
    Holz, der Schlitten. Die hohe Brüstung mit den gehämmerten Löwenköpfen, dann die mit Perlmutt eingelegte Seitenwand, sie spürte die Kurven und Windungen unter den Fingerspitzen, den Karneol, den Lapislazuli und das Gold dazwischen, das an diesem Ort noch nicht kalt wirkte.
    Ob es überhaupt abkühlen würde?, überlegte sie. Hier, soweit unter der Sonne im Irak, würde es da überhaupt kühl werden? Vielleicht würden die Leichen ja noch viel schneller verwesen -
    Sie kniff die Augen zu: In den Verblichenen, die hier überall lagen, würde bald neues Leben wimmeln. Holt mich hier raus, brüllte sie innerlich, stolperte dabei rund um das hölzerne Gefährt herum und rammte zu guter Letzt mit dem Zeh gegen etwas aus Lehm.
    Chloe verbiss sich einen Fluch und verdammte für einen Sekundenbruchteil den namenlosen Idioten, der mitten im Gang einen Krug abgestellt hatte.
    Natürlich hatte niemand damit gerechnet, dass die Leichen aufstehen und durch die Gruft wandeln würden.
    Eigentlich müsste genau hier die Truhe stehen. Immer wieder hatte sie sich die Stelle eingeprägt. Zentimeterweise arbeitete sie sich vor. Nichts. Tastete mit dem Zeh die Matte ab. Als ihr ein Wimmern entkam, schlug Chloe die Hand vor den Mund.
    Sie würde hier drin sterben. Eine weitere Leiche unter vielen, ohne Vergangenheit, ohne irgendeinen Hinweis darauf, dass sie je über diese Erde gewandert war. Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie war lebendig begraben.

    Er konnte sie einfach alle umbringen; schließlich waren es nur sechs. Eine Last von sechs weiteren Toten auf einem Gewissen, das keinen Überblick mehr hatte, wie viele Leben es bereits ausgelöscht hatte. Sechs Menschen aus dem Weg räumen, dann in den Graben klettern, die Erde im Schacht durchwühlen, über die Schlitten vor dem Eingang und die im Raum aufgereihten Leichen klettern und Chloe in die Arme schließen.
    Cheftus Haut kribbelte, wenn er daran dachte, wie er ihren Körper in Position gebracht hatte. Wie er ihre glanzlosen Augen geschlossen hatte. Wie gern er ihren Puls kontrolliert, nach irgendeinem Lebenszeichen gesucht hätte. Weil sie unter der Kombination von Drogen in ihrem Körper wirklich leichenblass, fahl und bläulich gewirkt hatte. Er musste darauf vertrauen, dass der Becher seinen Zweck erfüllt hatte - wie gern hätte er ihn überprüft, ihn gewogen, ob er sich schwer anfühlte, doch das hatte er nicht gewagt. Cheftu musste sich auf seinen Glauben verlassen. Glaube besteht darin, Dinge für wahr zu nehmen, die man nicht sehen kann.
    Am liebsten hätte er ausgespuckt.
    Auf was für einen Irrsinn hatten sie sich da

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