Die Händlerin von Babylon
seinen Bruder.
»Nicht hier«, antwortete Nimrod. »Irgendwo an einem neuen Ort. Dort würde ich erst den Stufentempel bauen, um die nötige Infrastruktur für einen Rat und eine Gemeinde zu schaffen. Um Kleider und Nahrung, Recht und Gesetz sicherstellen zu können. «
»Bist du der Verantwortung wirklich gewachsen? Sobald du Lugal wirst, gehört dein Leben nicht mehr dir selbst.«
Nimrod ging über den Einwand seines älteren Bruders hinweg. »Wahrscheinlich ist dort oben nach wie vor Wildnis«, meinte er, wobei er auf eine leere Stelle der Karte deutete, kurz unterhalb des Flecks, an dem die beiden Ströme parallel zu fließen begannen. »Die Menschen brauchen einen guten Jäger, der ihnen Sicherheit gibt. Nicht zu vergessen Schutz vor Überfällen.«
Gilgamesch begutachtete die Stelle, auf der Nimrods Finger lag. »Da oben brauchen die Menschen vor allem einen Schutz gegen Pazuzu und seine Dämonen. Du hast auf Bab-ili gedeutet, das Tor der Götter.«
Nimrods Finger zuckte zurück. »Das sind doch Märchen.«
»Sie werden seit dem Einst erzählt, und es sind eben jene Geister, die dort oben spuken.«
»Warst du schon dort?«, fragte Nimrod.
Gilgamesch schüttelte den Kopf. »Ich bin tapfer, aber nicht tollkühn. Ungeheuer bewohnen die Ruinen. Dort liegt eines der Tore zur Unterwelt.« »Aber es gibt Wasser«, wandte Nimrod ein. »Von beiden Flüssen.«
»Und die Gegend ist voller Überreste aus -«
»Der Boden ist bestimmt fruchtbar.«
»Willst du dort oben das Leben deiner Leute aufs Spiel setzen?«
Nimrod schüttelte den Kopf. »Dazu gibt es keinen Grund, ich war einfach nur neugierig.«
Gilgamesch seufzte erleichtert auf. »Wolltest du schon bald losziehen?«
Nimrod erhob sich. »Ja, sofort.«
»Sofort?«
»Wir müssen unser Ziel möglichst früh erreichen, damit wir die Ziegel für unsere Häuser trocknen und das Wintergetreide aussäen können.«
»Wer ist >wir<, wen willst du mitnehmen?«
»Meine Familie, ein paar von meinen Leuten, aber nicht allzu viele. Aber wir müssen unverzüglich aufbrechen.«
Gilgamesch nickte. »Bevor in Ur wieder das normale Leben einkehrt, damit euer Verschwinden als Teil der Verluste durch ... das Opfer betrachtet wird, das die Götter gefordert haben.«
»Bei Beginn der kühlen Jahreszeit müssen wir dort angekommen sein.«
»Und was verlangst du von mir?«
»Getreide.«
Gilgamesch zögerte. »Diese Entscheidung obliegt nicht mir.«
»In Kriegs- oder Notzeiten kannst du alle möglichen Entscheidungen fällen. Fälle diese eine für mich. Gib mir das Getreide für einen Neuanfang.«
»Umsonst wirst du es nicht bekommen«, meinte Gilgamesch schließlich.
»Das habe ich nicht anders erwarten. Welchen Preis verlangst du?«
»Steuern, Bruder. Ich werde einen Anteil eurer Steuern ver-langen müssen, um Ur durchzubringen.«
Nimrod sah seinen Bruder zornig an. »Wie viel?«
»Nicht viel, nur zwanzig Prozent.«
»Fünf.«
»Achtzehn.«
»Sieben.«
»Sechzehn.«
Nimrod stöhnte. »Zehn ist mein letztes Angebot.«
»Du vergisst, Bruder, dass du etwas von mir verlangst. Nicht umgekehrt.«
»Und du vergisst, Bruder, dass ich Hunderte von Mäulern mit mir nehme, die du ansonsten stopfen müsstest.«
»Vierzehn.«
»Zehn.«
»Vierzehn.«
»Zehn, habe ich gesagt! Fünf müssen sie an den Tempel bezahlen, fünf an mich ... schon jetzt muss mein Volk zwanzig Prozent Steuern aufbringen!«
»Das würde ich den Leuten nicht auf die Nase binden, wenn du sie zusammensuchst«, sagte Gilgamesch und erhob sich. »Warte lieber, bis sie angekommen und mit den Bauarbeiten beschäftigt oder sogar schon damit fertig sind, ehe du ihnen von den zwanzig Prozent erzählst.«
»Ich nehme meine Soldaten mit«, warnte Nimrod. »Dann hast du keine Leibwache mehr. Elf.«
»Ich suche mir ein paar Matrosen«, erwiderte Gilgamesch. »Söldner sind sowieso zuverlässiger, bei denen weiß man genau, wie viel ihre Loyalität wert ist.« Er schlug Nimrod auf die Schulter. »Wir kennen einander überhaupt nicht mehr, oder? Also, einigen wir uns auf zwölf. Um unseres Vaters willen.«
»Wann bekomme ich das Getreide?«
Gilgamesch seufzte. »Morgen bei Tagesanbruch lasse ich es in dein Haus liefern.«
»Zwölf«, sagte Nimrod. »Eine weise Entscheidung. Ich danke dir.«
»Zwölf«, wiederholte Gilgamesch. »Weil du mein Bruder bist.«
»Was genau hat die Alte von Ninhursag eigentlich mit >Gottes Gnade< gemeint?«, brummelte Chloe bereits im Halbschlaf. Cheftu hielt ihren Leib in
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