Die Händlerin von Babylon
Ningal sich in den Sessel fallen und starrte dann in die Luft. Die Sterne sprenkelten den Himmel wie kostbare Silberperlen die Brust einer Khamitin. Er hatte seit Jahren keine Khamitin mehr gesehen, bis heute wenigstens. Auch wenn sich Chloe, wie sie sich nannte, weder an ihr Elternhaus noch an ihren Heimatort erinnern konnte, so war sie doch kein gewöhnliches Mädchen aus den Marschen.
Vor einigen Generationen, das bezeugte ihre Haut, hatte sie Vorfahren aus der Ersten Familie gehabt, wenn auch aus dem Zweig des am wenigsten geliebten Sohnes Kham, und wahrscheinlich - dabei zupfte Ningal an dem Bärtchen unter seiner Lippe - war einer ihrer Vorfahren blond gewesen. Vielleicht stammte ihr Vater aus den Bergen? Und die Mutter aus der Wüste? So oder so bot das Mädchen einen außergewöhnlichen Anblick.
»Der Wein, Herr«, sagte Kalam, wobei er Ningal zwei Schalen aus getriebenem Gold zur Auswahl anbot. Ningal wählte die ihm nähere, womit er Kalam zeigte, dass er ihm vertraute. Dann schmeckte Ningal die süße Tiefe.
»Greif zu«, lud er seinen Gehilfen ein.
Kalam zog den Stuhl heran, auf dem vorhin Chloe gesessen hatte, und nahm einen Schluck. Kalam tat zwar so, als würde ihm der Wein schmecken, doch insgeheim schätzte Ningal ihn als Sauermaische-Typ ein.
Wein war süß, doch seit Ningal sich mit zunehmendem Alter an weitaus weniger Dingen erfreute als früher, genoss er die Süße. Saure Getränke waren etwas für junge Männer mit Feuer im Bauch und brennendem Ehrgeiz. Wie seinen jungen Gehilfen. »Wie siehst du das, was heute Abend passiert ist?«, fragte er Kalam.
»Sie hat sich zum Narren gemacht«, antwortete er.
Ningal nickte.
»Ich glaube nicht, dass sie bis zum Morgen hier bleibt. Wahrscheinlich schleicht sie noch vor der Dämmerung aus dem Haus und wartet in einem Versteck bei den Viehweiden auf ihre Herde. Falls es überhaupt ihre Herde ist. Wer weiß, womöglich hat sie die Tiere gestohlen? Schwachsinniges Weib.«
Ningal zupfte an seinem Bart. »Und wie schätzt du die Reaktion des Rates ein?«
»Ich bin nur froh, dass die Ensi sich nicht eigens Zeit genommen hat, ihr zuzuhören. Es war schon peinlich genug, dem Lugal den Abend zu verderben.«
»Wie hätte der Abend deiner Meinung nach besser ablaufen können?« Wieder nahm Ningal einen Schluck Wein. Süß, so süß. Mit einem Hauch von Schärfe. Lauchzwiebel? Er ließ den Wein in seinem Mund kreisen.
Schnaubend beugte Kalam sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Das Licht der wenigen Fackeln spielte in den Fransen seines Schurzes, und Ningal merkte plötzlich, wie ihn der goldene Schimmer in Bann zog. »Auf jeden Fall hätte es etwas genutzt, wenn sie nicht so unbedarft geredet hätte. Auf jeden Fall hätte es etwas genutzt, wenn sie sich beim Schminken oder Ankleiden von jemandem hätte helfen lassen. Und am meisten hätte es genutzt, wenn sie sich an irgendwas erinnert hätte.«
»Und wenn sie sich nicht auf den Lugal erbrochen hätte?«
Kalam warf einen Blick auf den Schurz, den die Sklavinnen gleich morgen früh waschen würden und den er mittags mit beschämter Miene zum Lugal zurückbringen würde. »Damit hat sie einem katastrophalen Abend endgültig den Rest gegeben. Aber zu diesem Zeitpunkt war die Begegnung ohnehin eine Farce. Insofern war es beinahe passend.« Mit einem bedauernden Grinsen nahm Kalam einen Schluck Wein, derart versunken in seiner Erinnerung, dass er vergaß, sein angewidertes Gesicht über den Geschmack zu verbergen.
Wind rauschte in den Palmwipfeln über dem Hof und pfiff über die auf dem Hausdach aufgestellten Lehmtöpfe, in denen der Regen gesammelt wurde. »Kann ich dir noch etwas bringen, Herr?«, fragte Kalam.
»Nein, nein. Geh nur heim«, lehnte Ningal ab. »Vielen Dank.«
Kalam erhob sich und stellte seine Schale auf dem Tablett ab. »Bis zur Dämmerung?«
»Nein, wir wollen ausschlafen. Wann ist morgen meine erste Urteilsverkündung?«
»Nach dem Mittagessen.«
»Und du musst noch den Umhang zurückbringen. Ich habe vorher ein paar Briefe zu schreiben, also, hmm, sagen wir bis zwei Doppelstunden nach der Dämmerung.«
»Danke, Herr. Guten Morgen.«
»Dir auch einen guten Morgen.«
Nachdem Kalam zur Haustür hinaus verschwunden war, erhob Ningal sich mühsam und war schon auf dem Weg zur Tür, als er sich plötzlich anders entschied. Er kehrte zur Mauer gegenüber zurück und setzte sich auf den ungepflasterten Boden.
Langsam dehnte er sich, bis er die Füße mit den Fingern
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