Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
einfach ein Zeichen machen, und das habe ich getan.«
    »Mach es bitte noch einmal.«
    Sie blickte in den Staub, dann schrieb sie mit Schwung und leichten Schnörkeln CBK, wobei sie die einzelnen Zeichen auf eine Weise verband, wie sie es sonst nirgendwo getan hatte.
    Ningal kratzte sich am Kopf.
    »Erkennst du irgendwas davon wieder?«
    »Leider nein, muss ich gestehen.«
    Niedergeschlagen begann sie, die Zeichen zu verwischen. »Deshalb kann ich nicht bleiben.«
    »Weil du eigene Zeichen hast, die niemand mit dir teilt?«
    »Ich ertrage es nicht, unwissend zu sein. Ich ertrage es nicht, nicht zu wissen.«
    Ningal war in den Jahrhunderten, die sein Leben nun schon währte, vieles gewesen. Barbier und Chirurg, Schreiber, Gutsverwalter, Fischer, Händler und Tafelvater. In all der Zeit hatte er nie andere Schriftzeichen gesehen als die seines Volkes, der Schwarzhaarigen, der Sumerer. Diese Zeichen machten sein Volk zu etwas Besonderem, sie halfen beim Bewässern der Felder, sie förderten den Handel. Sein Volk konnte schreiben, es hatte eine Sprache.
    Er unterhielt eine Liste aller Worte, die ihm je zu Ohren gekommen waren, nur damit sie nicht in Vergessenheit gerieten. In dem Haus der Tafel, in dem er gelehrt hatte, jenem in der Blauen Straße, nahm sein Werk unzählige Regale ein. Worte, die er aus allen Ecken und Enden der Welt der Schwarzhaarigen zusammengetragen hatte.
    Nie hatte er Worte gesehen oder gehört, die er nicht als eines der ihren erkannt hatte. Und niemals in tausend Höfen der Götter hatte er gesehen, dass jemand andere Markierungen setzte und sie benannte.
    Brauchte das Mädchen einen Exorzisten? Oder handelte es sich um eine Gabe der Götter?
    »Wo hast du das gelernt?« Ihre Frage holte ihn zurück in den Hof und riss ihn aus seinen verstaubten Erinnerungen an das Haus der Tafel. »Wer hat dir das beigebracht?«
    »Mein Vater ist wohlhabend. Er hat seine Söhne ins Haus der Tafel geschickt.«
    »In die Schule?«
    Ningal war fassungslos, dennoch antwortete er. »Ja, in die Schule.« Woher kannte sie dieses Wort? Es war neu!
    »Wie lange warst du Schüler?«
    Er lachte und registrierte überrascht, wie laut dieses Geräusch zu dieser Tageszeit klang. »Vom Tage meines neunten Geburtstags an jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und zwar bis ich zwanzig war.«
    »Ohne einen freien Tag?«
    »Doch, sechs im Monat. Die Götterfeiern, du weißt schon.« Vielleicht auch nicht.
    »Und dein Vater war wohlhabend, deshalb musstest du nicht im Familiengeschäft mithelfen.«
    »Wir waren Schiffsbauer, und mein Vater wollte, dass wir es weiter bringen.«
    »Unter einer Bedingung würde ich hier bleiben.« Plötzlich strahlten ihre Augen auf. Grüner als sie heute Nachmittag ge-wirkt hatten - da hatte er sie eher für braun gehalten. Sie leuchteten beinahe in der Dunkelheit. Jeder Muskel ihres Körpers war vor Aufmerksamkeit, vor Neugier angespannt. Ningal fühlte sich wie ein Fisch - bislang hatte sie ihm Leine gelassen, um sie jetzt, genau im richtigen Augenblick, anzureißen.
    »Was für einer Bedingung?«
    »Ich will ins Haus der Tafel gehen.« Sie beugte sich vor, und der süße Duft nach Granatapfel und Sesamsamen überschwemmte ihn, untermalt vom verführerischen Klingeln der Armreifen. »Ich werde mich anstrengen. Ich lerne schnell. Ich werde keine Schwierigkeiten machen. Mein Essen mache ich mir auch selbst. Hauptsache, du lässt mich ins Haus der Tafel.«
    »Wieso willst du unbedingt schreiben lernen?«, fragte er.
    »Weil, weil ... weil wer schreiben kann, auch lesen kann.«
    »Das sollte man meinen.«
    »Und wenn man lesen kann, ist einfach alles möglich. Man kann überall hingehen, man kann alles werden. Nichts schränkt einen ein. Gar nichts.«
    »Du bist eine Frau. Und attraktiv dazu«, meinte er. Offenbar hatte ihm der Wein die Zunge gelockert, sodass er sich frei fühlte, das zu sagen, was er wirklich dachte, statt nur das zu wiederholen, was er sagen sollte. »Du brauchst nur einmal mit dem Finger zu winken, und jeder unter tausend Männern würde dir alles geben, was du begehrst, dich überall hinbringen, wohin dein Herz dich zieht, und dir die Welt zu Füßen legen.«
    Sie rutschte nach hinten, kippte die Beine auf die Seite und verschränkte die Arme. »Ich will nicht die Welt eines Mannes. Ich will meine eigene.«
    »Sehnst du dich nicht nach einem Gefährten?«
    Sie blickte zur Seite, bis er sie im Profil sah. Sie war keine Bewohnerin der Marschen; dafür war ihre Nase zu

Weitere Kostenlose Bücher