Die Händlerin von Babylon
machen würde, etwas von »Leben wie eine Richterin«.
Ohne es erklären zu können, jubilierte Chloe innerlich. Schule war ein Begriff, mit dem sie sich vertraut fühlte, und irgendetwas in ihrem Inneren schien zu bekräftigen, dass dies die richtige Entscheidung war. Allerdings wirst du möglicherweise Himmel und Erde in Bewegung setzen müssen, um es an die Schule zu schaffen, sagte eine Stimme in ihr. Darum solltest du genau überlegen, was du anziehst.
»Kann ich dir helfen?«, fragte der Schreiber. Sein Kopf war kahl und sein Bauch rund. Aus einem unerfindlichen Grund trug er einen Rock und keinen Umhang. Ein Umhang hätte seine Wampe verhüllt und ihm ein wesentlich würdigeres Aussehen verliehen. Natürlich hätte man auch dann die Schultern und die Arme gesehen. Chloe konnte erkennen, dass er beides nur im absoluten Mindestmaß besaß. Sie lächelte.
»Ich möchte etwas für den Lugal abgeben«, sagte sie.
Der Schreiber schaute nicht einmal auf. »Tut mir Leid. Der Lugal verlässt das Büro um kurz nach Mittag und geht dann zu seiner Nachmittagsberatung in den Sin-Tempel. Du hast ihn um mindestens fünfzehn Minuten verpasst. Guten Tag.«
»Ich weiß, ich habe mich verlaufen.« Wenn du dich verspätest, solltest du dich nie dafür entschuldigen oder dir Ausreden ausdenken. Mach es einfach wieder gut. Die zuvor noch höflich desinteressierte Miene des Schreibers wirkte jetzt eindeutig abfällig. »Was natürlich nicht dein Problem ist.«
»Freut mich, dass du das so siehst.«
»Wann ist er im Sin-Tempel fertig? Du musst wissen, ich habe seinen Rock dabei -«
»Ach so. Jetzt erinnere ich mich an dich. Der reihernde Vogel aus den Marschen.« Hastig wich er an die Wand zurück. Sie kämpfte gegen das Bedürfnis an, ihm den Mittelfinger zu zeigen. Was sollte das auch? Er hatte zwei Mittelfinger und wäre sicherlich nicht beeindruckt, dass sie ebenfalls zwei besaß. »Lass ihn einfach hier.«
»Vielen Dank, aber ich möchte ihn lieber persönlich übergeben. Den Rock natürlich.«
Der Schreiber beugte sich vor und winkte sie heran. »Du bist neu in der Stadt. Das ist mir klar. Darum werde ich dir helfen. Ich arbeite für den mächtigsten Mann in Ur, folglich den mächtigsten Mann in der bekannten Welt. Er entscheidet, ob die Priester den Tempel eine Stufe höher bauen dürfen, er entscheidet, auf wie vielen Feldern Gerste und auf wie vielen Emmer wachsen soll. Er entscheidet, wie hoch der Tauschkurs liegen soll! Du hingegen bist, falls du dir dessen nicht bewusst sein solltest, ein Niemand. Nicht einmal dein Bauernmagen tut, was du ihm befiehlst. Also lass den Rock hier und verschwinde aus diesem Büro.« Der Schreiber strahlte sie an. »Geht das in deinen blöden kleinen Kopf?«
Chloe entschloss sich . stehen zu bleiben.
»Und wenn du glaubst, er könnte sich für deinen versumpften Khamitinnenleib interessieren oder seinen Samen mit dir teilen wollen, dann wisse, dass er sich an diesem Nachmittag mit der Ensi trifft, der Hohepriesterin Inanas. Die Inkarnation der Liebesgöttin, du unwissende Geiß. Und jetzt verschwinde, bevor ich dich rausschmeiße.«
Chloe war absolut sprachlos und blieb wie angewurzelt stehen. Er beachtete sie gar nicht weiter. Sie war nicht in der Lage, auch nur einen Finger zu rühren; ihrem Körper fehlte jedes Gefühl, nur im Gesicht meinte sie tausend Nadelstiche zu spüren. So als wäre ihr Gesicht eingeschlafen und würde langsam wieder aufwachen. Weder Worte noch Bilder zogen durch ihren Kopf. Dazu war sie zu perplex.
Der Schreiber schaute zwar nicht auf, dafür sprach er sie an. »Wenn dein stinkender Kadaver nicht bis fünf aus diesem Raum verschwunden ist, lasse ich dir wegen Diebstahls die Hand abhacken.«
Sie stürmte los.
»Der Rock bleibt hier!«, brüllte er ihr nach.
Sie wandte sich nicht einmal um, sondern ließ einfach den Korb mit dem Rock auf den Boden fallen und rannte dann die Treppe hinunter auf die Straße. Wo sie auf einen drahtigen, behaarten Mann prallte. Beide purzelten in einem Gewirr aus Armen, Beinen und langem schwarzem Haar übereinander. Ihrem und seinem. »Pass doch auf, wo du hinläufst«, stöhnte er. »Du bist so groß, dass du noch jemandem wehtun könntest.«
»Verzeihung«, murmelte sie.
»Du bist ja fahl wie Lehm; bist du krank?«, fragte er.
Chloe sah ihn nicht einmal an. »Ich glaube, mir wird gleich schlecht«, flüsterte sie, wobei Tränen in ihren Augen zu brennen begannen. »O Götter, nicht schon wieder.«
»Dann übergib
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