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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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unzählige Götter, nachdem jeder Mensch einen eigenen persönlichen Gott sowie einen eigenen persönlichen Dämon hatte, zu denen sich ein Pantheon von Halbgöttern gesellte - von denen es etwa fünfhundert gab -, sowie der Hofstaat der großen Götter, in dem mindestens weitere fünfzig versammelt waren. Vielleicht teilten ja manche Familien ihre persönlichen Gottheiten und Dämonen? Er würde seine Mutter fragen müssen, wie ihre persönlichen Götter und Dämonen hießen. Aber wenn man nur einen Einzigen davon vor den Kopf zu stoßen brauchte, um den Zorn der übrigen Götter auf sich zu lenken .
    Dann grenzte es an ein Wunder, dass die Menschheit nicht noch öfter ausgelöscht worden war.
    Dreißigtausend mal zwei plus fünfhundert plus fünfzig ... alles in allem waren das 60.550 Götter, die man beleidigen konnte.
    Ezzi musste dringend aufs Klo. Und wahrscheinlich sollte er beten. Viel beten.
    »Komm in drei Tagen, zum Ende der Feiern, wieder zu mir«, entließ ihn der Große. »Ich werde mich für dich einsetzen und sehen, was ich erreichen kann. Nun geh.«
    Hals über Kopf stürmte Ezzi die Treppe hinab, wühlte sich durchs Gedränge, auf schnellstem Weg zu seinem Nachttopf eilend. Es war bestimmt besser, wenn er sich nicht im Tempel erleichterte; damit könnte er eventuell einen dieser 60.550 Götter beleidigen. Unter einer Palme hielt er kurz inne - hatten auch Palmen einen persönlichen Gott? Oder Dämonen? Dann könnte einer von ihnen an ihm hochklettern und in seinen - er rannte weiter, nur für alle Fälle.
    In den Straßen tummelten sich Tänzer und Akrobaten, Feuerschlucker und Handleser. Die Menschen waren dicht gepackt wie Fische zum Verkauf.
    Es war dunkel, es war kein Durchkommen mehr.
    Er konnte nicht mehr. Heimlich zog er seinen Umhang auf und schob sich an den Menschen vor ihm vorbei. Die Erleichterung, die er empfand, hatte eine fast spirituelle Dimension. Das viele Bier, das er tagsüber getrunken hatte, rauschte, fermentiert mit Aufregung, Dattelpalmenwein und Wasser aus dem Euphrat, durch seinen Körper und gegen den Umhang des vor ihm Stehenden. Heimlich schüttelte Ezzi die letzten Tropfen ab, zog seinen Umhang wieder zu und schob sich weiter durchs Gedränge, zufrieden den Straßengauklern zuschauend.

    Chloe starrte das Gekrakel auf der Lehmtafel an. Das Morgenlicht legte dunkle Schatten über die tiefen Markierungen und gab ihnen das Aussehen von kleinen Keilen. »Das heißt also, das Zeichen eines Männerkopfes bedeutet Mann.«
    »Es könnte männliches Menschenwesen bedeuten«, erläuterte Kalam geduldig.
    »Oder aber auch Kopf -«
    »Oder Mund oder Augen oder Gesicht«, ergänzte er.
    »Oder es ist die phonetische Darstellung von lu.«
    »So ist es.«
    »Oder es ist ein Bestimmungswort, das mir anzeigt, dass gleich ein Name - in diesem Fall der eines Mannes - nachfolgen wird.«
    »Ja.«
    Sie betrachtete das komplizierte Symbol - fünf Zeichen für nur ein Wort? Und obendrein musste er mit angehobenem Ellbogen schreiben, damit er nicht die Symbole verwischte, die er bereits gesetzt hatte. »Wie viele Zeichen gibt es?«
    Kalam kritzelte etwas in den Lehm.
    »Was heißt das?«
    »Die Zahl, die dir anzeigt, wie viele es sind - um die siebenhundert.«
    »Und jedes davon hat ebenso viele Bedeutungen, sodass man sich dreitausendfünfhundert verschiedene Dinge einprägen muss, um alles wirklich zu verstehen.« »Ja.«
    »Reichen elf Jahre von der Morgendämmerung bis zum Zwielicht dafür aus?«
    Kalam sah sie an, als wüsste er nicht genau, ob sie sich über ihn lustig machte. »Der Wein vernebelt dir noch den Kopf«, meinte er langsam. »Der Wein oder der Urin«, ergänzte er mit einem Ellbogenstoß.
    »Ich hoffe nur, dass ich dieses Kleid noch mal sauber bekomme!«, antwortete sie. Gestern Abend hatte sich irgendein Trunkenbold an ihrem Kleid erleichtert. Ein frühgeschichtlicher Karnevalsgeck, bemerkte die Stimme in ihrem Kopf.
    »Möchtest du es mal versuchen?«, fragte er, wobei er ihr das stumpfe Ende des Schilfgriffels hinhielt.
    Das hier ist ganz anders als sonst, dachte sie. Eher so, als würde man sich Kunstwerke einprägen, statt ein Alphabet zu lernen. Dies hier sind einfach Silben und Bilder. Die Schrift gleicht in dieser Zeit und diesem Land eher einem Bilderrätsel.
    »Was ist los?«, fragte er. Chloe hatte an ihrem Kopf und ihren Haaren gezerrt und sich mit aller Kraft die Ohren gerieben. »Bist du krank?«
    Erzähl ihm bloß nicht, dass du Stimmen hörst. Selbst zu dieser

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